Meine Suche nach der besten Pasta der Welt
möglichst gleichgroße Teile. Und man erlebt dabei eine Überraschung: Diese simple Aufgabe gelingt nicht. Weder bricht die Nudel mittig entzwei, noch bricht sie überhaupt in zwei Teile, sondern meistens in mindestens drei. Eigenartig, oder?
Basile Audoly und Sébastien Neukirch vom Pariser Centre National de la Recherche Scientifique haben das Spaghetti-Phänomen wissenschaftlich untersucht. Sie spannten Spaghetti in eine Klemme, bogen das freie Ende bis zu einem festgelegten Punkt hoch und ließen dann los. »Erstaunlicherweise entspannten sich die Nudeln nicht einfach und wurden dadurch wieder gerade,
sondern brachen an irgendeiner Stelle durch«, so die Forscher. Eine Hochgeschwindigkeitskamera musste her, die aufzeigte, dass starke Wellen entstehen, die durch die Nudel laufen. Diese Wellen nehmen die Nudel so sehr mit, dass sie an mehreren Stellen bricht. Im Küchenalltag ist der Stresstest für die Spaghetti sogar noch extremer: Wenn sie an beiden Händen durchgebogen wird, laufen von beiden Seiten Wellen durch die Struktur. Das hält die stärkste Pasta nicht aus. Aber warum nicht?
»Wir empfanden es als unlogisch, dass eine elastische, wenngleich spröde Stange sofort durchbricht, nur weil man sie ein bisschen biegt und dann loslässt. Darum versuchten wir mit dem Computer eine Nachstellung des Geschehens«, schrieben die Forscher in ihrem wissenschaftlichen Aufsatz Fragmentation of rods by cascading cracks: why spaghetti do not break in half , veröffentlicht in Physical Review Letters , Nr. 9.
Da musste schon das Kirchhoff‘sche Beugungsintegral her, eine monströse Formelansammlung, die zwei gedruckte Seiten dieses Buches füllen würde, aber hier kommt ein kleiner Ausschnitt, weil Sie bestimmt begierig darauf sind, die Sache mal durchzurechnen:
Die Forscher fanden folgende Erklärung: »Wenn man ein Ende loslässt, dann biegen sich die festgehaltenen Nudelenden zuerst wieder in ihre gerade Ursprungsform
zurück. Dieses Zurückschwingen löst aber eine Welle aus, die vom losen blitzschnell zum festgeklemmten Nudelende wandert. Von dort wird sie zurückgeschickt. Da so innerhalb kurzer Zeit Wellen von beiden Seiten der Nudel hin- und herlaufen, entstehen große Schwingungsweiten (Wellenberge) mitten auf der Nudel. Dort entsteht dann jeweils eine neue Bruchstelle.«
Es gibt also einen »echten« Knackpunkt und mehrere weitere Brüche, und zwar, je nach Länge der Nudel, bis zu zehn Stück.
Warum eine renommierte Forschungsanstalt das Geld der französischen Steuerzahler dafür verschwendet, Spaghetti zu zerbrechen? Alles Nudelförmige bricht ähnlich, etwa Hochhäuser oder Fernsehtürme, die von Erdbeben oder Orkanen durchgeschüttelt werden – es sei denn, die Bauingenieure bauen ein paar Extra-Sicherungen ein. Denn die Ingenieure hatten aus dem Desaster mit der Tacoma-Narrows-Brücke gelernt. Die Brücke im US-Bundesstaat Washington wurde vier Monate nach ihrer Fertigstellung von einem heftigen Wind durchgepeitscht. Wellen bauten sich auf wie in der Nudel, und gegen elf Uhr vormittags kam es, von Fotografen und Filmern festgehalten, zum Bruch. Ein Bauingenieur mit Gottvertrauen, der noch wenige Minuten zuvor auf der Brücke nach dem Rechten gesehen hatte, überlebte. Einziger Todesfall war ein Hund, der von seinem panischen Herrchen im Auto auf der Brücke zurückgelassen worden war.
Und natürlich ist es preiswerter und praktischer, mit Spaghetti als mit Hängebrücken oder Wolkenkratzern zu experimentieren. Die Physiker: »Wenn man erst einmal
verstanden hat, wie Spaghetti brechen, dann weiß man auch, wie alles andere zerbricht – seien es nun Hochhäuser, Flugzeuge oder Autos.«
Autos? Autos. Es gibt noch ein Happy End: Die beiden Franzosen erhielten für ihre Forschungen im Jahr 2006 den Ig-Nobelpreis für Physik, den einstigen Anti-Nobelpreis der Harvard-Universität, der ursprünglich als Studentenscherz gedacht war, inzwischen aber ein skurriles Eigenleben entwickelt hat. Zu den ersten Preisträgern gehörte Edward Teller, der Erfinder der Wasserstoffbombe (»für seinen lebenslangen Einsatz, die Bedeutung von Frieden nachhaltig zu verändern«), und auch der Physiker Robert Matthews erhielt den Preis für seine Forschungen, warum Toastbrotscheiben stets auf die gebutterte Seite fallen.
Das Nudel-Experiment setzte sich bei der Prämierung übrigens gegen die Erforschung der Frage durch, warum sich kalte Duschvorhänge so gerne an uns Duschende schmiegen.
Warum sind Italiener
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