Meine Suche nach der besten Pasta der Welt
zu Hause, bei meiner Familie. Wissen Sie, wo man auf Reisen viel erfährt? In kleinen Pensionen, in denen der Vermieter abends sein Fotoalbum herausholt und Geschichten aus seinem Leben erzählt. «
Das Gegenteil ist richtig. Im Allgemeinen trifft man in teuren Hotels die interessanteren Menschen, die hübscheren Rezeptionistinnen, die aufgeweckteren Portiers, dazu die Lebemänner, Steuerflüchtlinge, Gauner, Genießer und Champagner-Alkoholikerinnen. Das Essen ist besser und die Aussicht auch. In den billigen Hotels findet man die gestressten Handelsreisenden, die dysfunktionalen Familien, die müden Hamster des Kapitalismus und obendrauf schlechtgelaunte Teilzeitkräfte an der Rezeption. Es ist hellhörig, aber man hört nicht das wahre Leben, sondern den Pornokanal vom Nachbarn. Man schläft nicht gut.
Die Mär von der Authentizität der Armut hält sich ebenso hartnäckig wie die Mär von den Taxifahrern, die sich in der Stadt angeblich so toll auskennen und den Fremden quasi mit verbundenen Augen zu den Geheimtipps kutschieren. Es ist doch so: Taxifahrer sind zu 98 Prozent Menschen, die nicht die leiseste Ahnung haben, wo in der Stadt etwas passiert, weil sie sich nicht am gesellschaftlichen Leben beteiligen und sich für nichts interessieren außer für mobile Radarfallen. Das mag früher einmal anders gewesen sein, als Studenten noch Geld als Taxifahrer verdienten, doch Studenten jobben inzwischen bei irgendwelchen obskuren Internet-Startups oder in Medien-McJobs. Der Job des Taxifahrers ist auf der sozialen Leiter mächtig nach unten gepurzelt. Ich bin jedenfalls seit fünf Jahren nicht mehr mit Studenten gefahren, sondern mit Menschen mit zweifelhaften Hygienestandards und kreativer Gesichtsbehaarung, von Duftbäumen umflort. Und deren Empfehlungen würde
ich, im Gegensatz zu Paul Theroux, nicht von hier bis zur Beifahrertür trauen.
Deswegen quartierte ich mich voller Freude im Torre Coccaro ein. Die ersten Tage war ich sogar der einzige Gast, weil ein paar Renovierungsarbeiten liefen, aber das war mir nur recht. Ich hatte ja den Golfplatz. Am allerersten Abend aß ich gleich im Hotelrestaurant die legendären Orecchiette con cime di rapa , das apulische Nationalgericht. Orecchiette sind »Öhrchen«, muldenförmige Nudeln. Cime di rapa ist eine Brokkoli-Art, und zu der Pasta waren auch noch acciughe gemischt; die Sardellen sorgten für Würze. Es war hervorragend, obwohl mir jeder Apulier, den ich vorher nach den besten Orecchiette con cime di rapa gefragt hatte, die gleiche Antwort gab: »Die besten gibt es bei meiner Mama«, sagten alle. Es ist wie mit unseren Bratkartoffeln: Wir können zum besten Koch der Welt gehen, doch es wird nie so gut schmecken wie bei Mutter. (Es sei denn, es ist die Mutter von Hannes Steilmann.)
Dass es zwischen Öhrchen und Öhrchen außerdem große regionale Unterschiede gab, sollte ich später erfahren. Am Tag drauf machte auch das Hotelrestaurant für ein paar Tage wegen Renovierungsarbeiten zu – ist ja klar, dass wir Künstler nicht zur Hochsaison eingeladen werden –, und ich hatte viel Muße, mich auf Erkundungsreise durch Apulien zu begeben.
Apulien
Ran an die Öhrchen
M ein Vater war Koch. Und wie es sich für einen Koch gehörte, brachte er aus seinem Gästecasino die leckersten Dinge mit. Gästecasino? Ja, das sind die unbekanntesten Spitzenrestaurants Deutschlands. Alle Großbanken halten sich nämlich kleine, feine Luxusrestaurants in ihren Vorstandsetagen. Wenn nämlich ein Jürgen Schneider oder ein arabischer Scheich ein 50-Millionen-Euro-Geschäft einfädelt, dann kann man nicht Jägergeschnetzeltes aus der Kantine auftischen. Diese Gästecasinos halten also die edelsten Speisen und Weine bereit, für eine winzige, erlesene Schar von Geldsäcken. Mein Vater leitete das Gästecasino der Norddeutschen Landesbank in Hannover. Wie es sich für einen anständigen Koch gehörte, mopste er für seine Familie täglich die feinsten Leckereien. Und wie es sich für einen Sohn gehörte, verweigerte
ich die Aufnahme von allem, was nicht Fleisch, Kartoffeln oder Schokolade hieß, bis weit in meine Teenagerzeit hinein. Ich war ein spätberufener Esser, und bis heute tue ich mich beispielsweise mit Gemüse schwer. Da bin ich in Apulien natürlich ganz falsch, aber das tut mir ja auch mal gut. In Apulien ist die gesamte Gastrokultur aus der cucina povera entstanden, der Armeleuteküche. Das sopratavola ist ein schönes Beispiel. Die Leute konnten sich kein Obst
Weitere Kostenlose Bücher