Meine Suche nach der besten Pasta der Welt
ungerecht. Aber in den Jahren 2010 und 2011 habe ich, ein wenig durch Zufall, das Vergnügen gehabt, in vier französischen Restaurants zu essen, die von der heimischen Kritik in den Himmel gelobt wurden. Das Essen war gut, aber nicht herausragend; die Atmosphäre war verheerend, in Ritualen erstarrt. Man unterhielt sich knapp unter Flüsterlautstärke. Klirrte eine Gabel, blickte sich der Saal nach dem Schuldigen um.
Zwei Gegenbeispiele aus Italien. Die »Villa La Massa« in der Toskana, nur ein paar Kilometer außerhalb von Florenz, gehört zu den schönsten Orten, an denen man sich aufhalten kann. Ein großartiges Hotel, ein großartiges Restaurant direkt am Arno, sauteuer, aber jeden Cent wert. Es wird in diesem Buch nicht weiter erwähnt, da es, wie beinahe die gesamte Toskana, keine Pasta-Hochburg ist. Aber in der »Villa La Massa« heißt der Sommelier Michele Drusacchi. Er ist Herr über einen Weinkeller, den er jedem Gast gern zeigt. Dabei reißt er auch teuerste Weine auf und steckt den Gast an mit seinem Enthusiasmus. Sein Motto: niente Förmlichkeit, tanto Herzlichkeit. Herr der Küche ist Andrea Quagliarella, der mich eines Mittags zu sich an den Herd
holte und mir zeigte, wie ein saftiges Fiorentina gebraten wird. Nichts einfacher als das wie gesagt, es kommt nur auf die Qualität der materia prima an. Als ich aß, kam Andrea raus und legte mir seine Hand auf die Schulter. Das möchte ich mal von einem Sternekoch in Frankreich erleben. (Nicht, dass ich es wirklich wollen würde, aber Sie verstehen sicher, was ich meine.)
Das zweite Beispiel kommt aus Grado. Dort existierte bis vor wenigen Jahren die »Trattoria Alla Fortuna«, die alle Menschen »Da Nico« nannten, weil der Besitzer Nico hieß. Er kochte nur drei, vier Gerichte, und alle waren großartig. Wir alle aßen so oft wie möglich dort, obwohl Nico seine Unrasiertheit pflegte und einem die Grissini mit der bloßen Hand auf die Tischdecke warf. Dennoch war er in allen Gourmetführern erwähnt, die ja sonst gern auf so einen Quatsch achten, ob das Blumengebinde auf dem Tisch frisch und die Kerze neu sei. Die Spaghetti fasolari sind bis heute einer meiner Allzeit-Favoriten, in denen ich am liebsten gebadet hätte, doch leider hat sich Nico samt Koch Giovanni zur Ruhe gesetzt, und die Pasta gibt es nicht mehr. Jedenfalls war ich eines Abends dort, als einer der Gäste behauptete, das Risotto sei zu salzig. Nico lief in die Küche und befahl Giovanni, für den gesamten Laden Risotto anzurühren, genauso gewürzt wie bei dem Gast, der es hatte zurückgehen lassen. Es war natürlich nicht zu salzig, wie wir alle bestätigten, und wir schlemmten glücklich vor uns hin. Der garstige Gast bekam eine erneute Portion, aber es war ihm immer noch zu salzig. Da brach der ganze Saal in Gelächter aus, und der Gast lachte mit. Nico lachte so sehr, wie ich noch
nie einen Menschen habe lachen sehen; dicke Lachtränen kullerten von seinen Wangen, und immer, wenn er sich gerade so gefangen hatte, brach es erneut aus ihm heraus, und man musste mitlachen, ob man wollte oder nicht.
Wenn ich dann daran denke, wie mich der Sommelier eines berühmten Hotels in Epernay angeschaut hat, nachdem ich ihn, selbstverständlich auf Französisch, wenn auch mit unverkennbarem Akzent, darum gebeten hatte, einen eher leichten, nicht allzu heftig im Barrique ausgebauten Rotwein zu bringen… Der Sommelier sah mich mit heruntergezogenen Mundwinkeln an, schüttelte den Kopf und machte allen Ernstes »tststs«. Dann zog er mit der linken Hand die Weinkarte von einem Stapel hinter sich hervor, öffnete sie (einhändig, nicht unelegant) und deutete mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf jenen Rotwein, den ich zu bestellen hatte. Keine weiteren Fragen.
Und um Frankreich nun endgültig den Dolchstoß zu versetzen, sei die historische Anekdote erwähnt, dass die Haute Cuisine Frankreichs möglicherweise samt und sonders aus Italien stammt. Anlässlich ihrer Hochzeit 1533 mit dem späteren französischen König Heinrich II. musste die toskanische Milliardärstochter Caterina de‘ Medici nach Frankreich ziehen, doch sie ging nicht allein: In ihrem Gefolge sollen 300 Köche, Zuckerbäcker und sonstige Maestri gewesen sein, die das damals bäuerlich-rustikale Paris und den ignoranten Hofstaat kulinarisch auf Vordermann bringen sollten. Das, was viele von uns heute zungeschnalzend als französische
Cuisine bezeichnen, stammt möglicherweise aus Florenz – eine These, die von den Franzosen
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