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Meine Tiere, mein Leben

Meine Tiere, mein Leben

Titel: Meine Tiere, mein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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einem Hinterbein aufs andere trat. Nur ungern verließ ich es, doch ich hatte meine Untersuchung abgeschlossen und musste mich auf den Weg machen. Ich hielt es jedoch für angebracht, mich mit einer Geste zu verabschieden; das Pferd wissen zu lassen, dass ich seine Probleme verstand und dass wir der gleichen Bruderschaft angehörten. Also trat ich einen energischen Schritt vor und klopfte ihm auf den Hals.
    Blitzschnell wie eine Schlange fuhr das Pferd nach unten und packte meine Schulter mit seinen großen kräftigen Zähnen. Es legte die Ohren an, rollte verschlagen mit den Augen und hievte mich gleichsam in die Luft. Dort baumelte ich, hilflos wie eine schiefe Marionette. Ich zappelte und strampelte, doch das Gebiss hatte sich fest in meine Jacke gegraben.
    Nun herrschte kein Zweifel mehr am Interesse der Passanten. Der groteske Anblick eines im Pferdemaul baumelnden Mannes brachte sie zu einem jähen Halt. Eine Traube von Menschen hatte sich gebildet, die einander über die Schultern spähten oder weiter hinten die Hälse reckten, um etwas mitzubekommen.
    Eine schockierte ältere Dame rief aus: »Ach, dieser arme Junge! Nun helfen Sie ihm doch!« Die Mutigeren in der Menge versuchten, an mir zu zerren, doch das Pferd wieherte Unheil verkündend und packte noch fester zu. Von allen Seiten hagelte es widersprüchliche Ratschläge. Tief beschämt erblickte ich zwei attraktive Mädchen, die in der ersten Reihe heftig kicherten.
    Entsetzt über meine absurde Lage fing ich an, wild um mich zu schlagen; mein Hemdkragen zog sich enger um den Hals; ein Strom von Pferdespeichel ergoss sich über die Vorderseite meines Mackintosh. Ich spürte, wie mir die Luft wegblieb, und wollte schon die Hoffnung aufgeben, als ein Mann sich seinen Weg durch die Menge bahnte.
    Er war sehr klein. Zornige Augen funkelten in einem kohleschwarzen Gesicht. Zwei leere Säcke lagen über seinem Arm.
    »Was denn hier los?«, rief er. Ein Dutzend Antworten wurden in die Luft gemurmelt.
    »Kannst den Gaul nicht in Ruhe lassen?«, schrie er mir ins Gesicht. Da mir die Augen aus den Höhlen traten, ich halb erwürgt und nicht in Plauderstimmung war, antwortete ich nicht.
    Der Kohlenträger richtete nun seinen Zorn gegen das Pferd. »Loslassen, du Riesentrottel! Na, wird’s bald, lass los!«
    Als das Tier nicht reagierte, grub er ihm zwei tückische Daumen in den Bauch. Das Pferd verstand den Hinweis sofort und ließ mich fallen wie ein gehorsamer Hund seinen Knochen. Ich plumpste auf die Knie und verweilte ein wenig am Straßenrand, bis ich wieder Luft bekam. Wie aus großer Entfernung hörte ich noch immer den kleinen Mann auf mich einbrüllen.
    Nach einer Weile stand ich auf. Der Kohlenträger brüllte immer noch, und die Menge lauschte andächtig. »Was glaubst du, was du da machst? Hände weg von meinem Gaul, sonst kommt die Polizei dich holen.«
    Ich sah an meinem neuen Mackintosh herunter. Die Schulter war zu einem triefenden Klumpen zermalmt. Ich beschloss, mich davonzumachen, und drängelte mich durch die Menge. Einige Gesichter sahen besorgt aus, die meisten jedoch amüsiert. Sobald ich mich aus dem Gewühl befreit hatte, ging ich schnellen Schritts davon, und als ich eben um die Ecke gebogen war, erreichte mich der letzte schwache Ruf des Kohlenträgers:
    »Wovon man nichts versteht, soll man die Finger lassen!«

3 - Tricki Woo gibt sich die Ehre
     
    ICH SORTIERTE MECHANISCH DIE MORGENPOST. Der übliche Stoß von Rechnungen, Rundschreiben, bunten Werbeprospekten für neue Medikamente; nach ein paar Wochen hatten derartige Sendungen für mich den Reiz der Neuheit verloren, und ich las sie kaum noch. Ich hatte fast den Boden des Stapels erreicht, als ich auf etwas Ungewöhnliches stieß: ein Umschlag aus schwerem Büttenpapier, an mich persönlich adressiert. Ich riss ihn auf und zog eine goldumrandete Karte hervor, die ich schnell überflog. Das Blut stieg mir in die Wangen, und ich schob die Karte hastig in meine Brusttasche.
    Siegfried, der mit dem Abhaken der Besuche fertig war, blickte auf. »Warum sehen Sie denn so schuldbewusst aus, James? Ist Ihnen Ihre Vergangenheit auf den Fersen? Vielleicht ein Brief von einer empörten Mutter?«
    Ich reichte ihm die Karte. »Da haben Sie was zum Lachen. Sie würden ja sowieso dahinterkommen.«
    Siegfried verzog keine Miene, während er die Karte laut las. »Tricki bittet um Onkel Herriots Gesellschaft am Freitag, dem 5. Februar. Getränke und Tanz.« Er sah auf und sagte todernst: »Na, ist das

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