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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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und lud sie zu Aufmärschen und Reden ein. Sie wurde zu einer lokalen Berühmtheit, deren Exzesse durch die Presse gingen.
    Zudem waren Arnolts Ersparnisse geschmolzen, Olga dachte nicht daran, zu sparen, und forderte einen neuen Wagen. Bronnen kaufte ihn, vom letzten Geld, das er dem einen Tag später bankrott gehenden Ernst Rowohlt abluchste.
    Eine bedrohliche Zeit, dazu von extremer Kälte. Die Arbeitslosigkeit nahm zu. An seine eigene Arbeit glaubte Arnolt nicht mehr. Innerlich begann er, sich allmählich von der NSDAP zu lösen: »Tag für Tag löste ich mich selben (sic) mehr von den Nationalsozialisten ab«, schreibt er. »Aber Tag für Tag erkannte ich mehr, daß der Nationalsozialismus herannahte wie ein Fatum. Ich nahm ihn hin. Ich fand mich mit ihm ab.«
    Eine seltsame Aussage. Echt oder vorgegeben, um Fehlverhalten zu verbrämen?
    Die Nachrichten überstürzten sich. Die Lage spitzte sich zu.
    Zwei Jahre nach der Heirat mit Olga hatte Bronnen im Sommer 1932 in den Armen der blonden, blauäugigen, arischen Hildegard von Lossow, meiner Mutter, Schutz gesucht. Sie war keine Provokateurin wie Olga, sie litt unter der anfänglichen Dreierkonstellation. Erst im Alter erkannte sie darin System und nannte sich sein »arisches Alibi«: »Er saß immer zwischen zwei Stühlen, menschlich und auch politisch.« Sie vergötterte Arnolt mehr, als er damals ahnte, und machte ihn zur Liebe ihres Lebens, durch nichts und niemanden zu ersetzen.
    Olga erfährt Ende 1933 von Bronnens Affäre mit Hildegard und schäumt vor Eifersucht. Sie nimmt den Kampf auf.
    Dem Protokoll ist zu entnehmen, daß Bronnen die Situation genossen hat und sogar Treffen beider Frauen arrangierte, um als Außenstehender alles zu betrachten.
    Der Schriftsteller-Voyeur.
    Am 11. April 1935 brachte sich Olga um. Mit Gas.
    Wegen Hildegard? Aus Liebe zu Arnolt? Weil Arnolt ihre Ehebrüche aufgedeckt hat? Weil er sich ihr gegenüber, um Goebbels zu zitieren, »wie ein Trottel verhält«? Weil Goeb
bels sich nicht mehr für sie interessierte? Hat man sie als Spionin für die Russen entlarvt? War das Aufdrehen des Gashahns ein Hilfeschrei? Wollte sie gar nicht sterben?
    Bronnen wurde von der Polizei verhört: »Sie lebten in einer sehr unglücklichen Ehe. Ihre Frau wollte sich nicht scheiden lassen. Sie liebten eine andere Frau. Sie wollten daher von Ihrer Frau loskommen, koste es, was es wolle.«
    Â»Das ist nicht wahr.«
    Olga hatte einen Brief hinterlassen, in dem sie meine Mutter verfluchte. Für meine Mutter, die abergläubisch und fatalistisch war, eine Katastrophe. Die Heirat 1936 stand für sie unter einem Unstern. Später führte sie die Scheidung von meinem Vater auf Olgas Brief zurück.
    Arnolts Drahtseilakt zwischen Leben und Tod, ständig beobachtet von der Gestapo. Im Röhm-Putsch steht er auf der Schwarzen Liste – hätte ihn die SS aufgefunden, notiert er, hätte man ihn liquidiert.
    Er schreibt unter den Namen seiner Mutter und Großmutter: Schelle-Noetzel.
    Das Gauamt für Sippenforschung in Wien verzeichnet Bronnen als »jüdischen Autor« und bittet in einem Schreiben an das evangelische Pfarramt in der Dorotheergasse um den Geburtsschein Bronnens »zum Zwecke parteilicher Überprüfung benötigter Matrikelscheine«.
    Die Erklärung, er sei politisch unzuverlässig, war, fand er, »nicht viel besser als ein Todesurteil«. Politische Unzuverlässigkeit bedeute Überstellung in Schutzhaft, Verschickung ins KZ , schreibt Bronnen im Protokoll .
    Arnolt Bronnen übertreibt, wenn er angibt, dies genüge, ihn ins KZ zu bringen. Doch er hatte wahnsinnige Angst.
    Bestandsaufnahme im Funkhaus, ein Fragebogen nach dem Reichsbeamtengesetz, der sich auf Vater und Mut
ter erstreckte, »die erste jener eigenartigen ›rassischen‹ Entscheidungen«.
    Er gibt Dr. Ferdinand Bronner, den eingeösterreichten Deutsch-Nationalen, als »leiblichen Vater« an – nicht aus Loyalität zum Vater, sondern ›aus Trotz‹.
    Â 
    * * *

33. Tabula rasa
    Auch in Wien ging es blutig zu. 1934 wurde bei einem Putschversuch von Nationalsozialisten der österreichische Bundeskanzler und Mussolini-Genosse Engelbert Dollfuß angeschossen. Er verblutete, weil man ihm ärztliche Hilfe verweigerte. Mehr und mehr verlor Österreich seine Unabhängigkeit.
    Ferdinand ging vielleicht in

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