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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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vorbeigehen.
    Die Polen sind o.k., sagt Agatha, eine junge Frau, die neben mir raucht, aber die Männer nicht gerade schön.
    Sie hat recht. Eine ungekämmte Männergesellschaft nebenan, vor ausgeblichenen Aktenordnern, die Deckel von Feuchtigkeit verbogen. Auf dem Boden zerknitterte Fotokopien, um die die Kellnerin einen Bogen macht.
    Eigenwillig, sage ich. Die Frauen sehen besser aus.
    Bald darauf kommt ihr Freund mit einem Kollegen, alle sprechen sie deutsch. Die Einladung in eine Disko lehne ich ab, obwohl mir nach Gesellschaft zumute ist.
    Ganz oben auf meiner Liste steht Auschwitz, sage ich. Ich muß früh raus.
    Keineswegs der verstörte deutsche Blick, mit dem sie mich ansehen. Dann übermorgen, sagt Agatha, um die Zeit sind wir immer hier.
    Als sie im Bett liegt, drückt wieder die graue Wolke auf ihr Gemüt. Das dringliche Gefühl, sich etwas mehr bemühen zu müssen.
    Fang endlich an!
    Â 
    * * *

5. Paweł
    An einem eiskalten Tag, am 28. Februar 2009, fahre ich, begleitet von Paweł, einem jungen Germanisten der Krakauer Jagiellonen-Universität, von Krakau nach Auschwitz.
    Paweł, ein Glücksfall. Universaler Geschichtsüberblick. Ein guter Vermitttler. Kann alles einordnen. Subtiles, genaues Deutsch mit herbem, jedoch melodischem Klang, es ist selten, daß sich Sprache und Persönlichkeit so genau entsprechen. Belesenheit, die dem Gespräch nicht übergestülpt wird. Er tritt mir höflich und freundlich, mit einer Mischung aus Wärme, Interesse und Ernsthaftigkeit entgegen, spricht persönlich, direkt, nachdenklich und intensiv, zeigt seinen Stolz und seine Freude über das, was in Polen entstanden ist, und scheut vor Kritik an der Haltung Deutschlands nicht zurück.
    Sie ist auf Umwegen zu ihm gekommen. Eine Freundin aus dem Münchner Institut für Zeitgeschichte, die sie um Hilfe bat, gab ihr den polnischen Professor an, sie rief ihn an, der stellte den Kontakt zu einer Kollegin in Krakau her, der Judaistikerin Maria Klańska, sie zu Paweł Zarychta.
    Ich wundere mich immer noch darüber, wie bereitwillig Paweł es sofort übernommen hat, mich nach Auschwitz zu begleiten. Ob ein deutscher Dozent das für eine ihm unbekannte Schriftstellerin aus Polen ebenfalls täte?
    Ich bin dick eingepackt, mit Pullover und Jacke unter dem Mantel, in seinem kleinen Wagen ist es warm. Meine erste Frage gilt seiner Universität, also fahren wir an der Jagiellonen-Universität vorbei, wie eine Burg liegt sie auf
einem Hügel vor der Stadt, mit Blick auf die Weichsel. Ob noch einer der Krakauer Professoren, die den Deutschen bei der »Sonderaktion Krakau« in die Hände fielen, am Leben ist?
    Die zweimalige »Sonderaktion Krakau«, die die Universitäten der Stadt, insbesondere die Jagiellonen-Universität, im November 1939 ereilte. Gleich nach dem Einmarsch der deutschen Besatzer der erste Versuch der Besatzer, die politische, intellektuelle und wirtschaftliche Elite des Landes gleichzuschalten und die polnische Intelligenz zu vernichten. Sämtliche Professoren der Krakauer Universitäten wurden unter dem Vorwand einer Vorlesung ins Collegium Novum eingeladen. Statt dessen die Durchsage, daß alle hundertdreiundachtzig Anwesenden wegen antideutscher Haltung und unerlaubter Lehrtätigkeit verhaftet würden.
    Sie wurden nach Sachsenhausen deportiert. Nach Protesten europäischer Akademiker wurden hundertein Professoren wieder freigelassen, alle anderen waren infolge von Kälte und Hunger umgekommen. Dann die zweite Aktion: hundertzwanzig Akademiker wurden verhaftet und in der Nähe von Krakau erschossen.
    Die letzte Überlebende, sagt Paweł, ist vor einigen Jahren gestorben.
    Der 6. November ist heute ein Gedenktag. Mich berührt Pawełs Ernst, seine ergreifende Geradlinigkeit, wenn er sagt, es gehöre zu seinem Selbstverständnis als Mitarbeiter der Universität, großer Vorgänger, die wegen ihres Berufs und nationaler und intellektueller Zugehörigkeit ermordet wurden, zu gedenken.
    Wir fahren Richtung Ausfahrtstraße.
    Die Deutschen und die Polen, das ist unser Thema während der anderthalbstündigen Fahrt. Unser Umgang mit
dem Konzentrationslager Auschwitz. Wie wir uns herausredeten aus der Verantwortung und wieder hinein. Was die Kriegsgeneration verfälschte und die Nachkriegsgeneration verharmloste.
    Was wird nach dem Tod des letzten Überlebenden geschehen? Wie

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