Meine Väter
der Zensur freigegeben werden sollte und man die Premiere vorbereitete, schien das Stück von der Wirklichkeit eingeholt zu werden. In ebenjenem schlesisch-mährischen Bergbaugebiet an der Grenze, wo das Stück spielt, brach ein gefährlicher Streik aus, der sich ausdehnte. Ferdinand fand es nur begreiflich, daà die Zensurbehörde keine Darstellung von Vorgängen auf der Bühne zulassen konnte, die zur selben Zeit am selben Ort ihr »trauriges Gegenspiel« hatten.
In vorauseilendem Gehorsam strich er den GroÃteil des vierten Aktes, in dem er anschaulich das Scheitern der Emanzipation des Helden Robert Wawroch beschrieben hatte.
Sie fühlt sich gefoppt. Denn der Held stirbt nicht mehr in Solidarität mit den Bergarbeiter-Sozialisten, sondern wird von den erbitterten Arbeitern, dem »Mob«, erschlagen.
Eine politische Kehrtwende.
Der dringliche Wunsch, das Stück unbedingt zur Aufführung zu bringen, hat ihn dieses Zugeständnis machen lassen.
Wie sah er die Sache? Seiner Meinung nach entsprach die Auflösung des vierten Akts der Struktur des Stückes. Sie war »ein rein dramaturgischer Akt« und hätte »mit geheimen Einflüssen der Zensur nichts zu tun«. AuÃerdem: das Originalstück läge als Buch unzensiert der Ãffentlichkeit vor. Wollte ihn jemand angreifen, konnte er auf die Zensurbehörde verweisen, das war ihr Versäumnis, nicht seines.
Die Atmosphäre war geladen, als ein Vierteljahr später endlich die Premiere anstand, und ein zwiespältiger Fer
dinand ging bangen Herzens an den groÃen Plakaten auf den LitfaÃsäulen vorbei, auf denen groà sein Künstlername stand. Er kaufte eine Zeitung und las die Vorberichte: Heute Premiere des spektakulären Bühnenstücks Familie Wawroch von Franz Adamus. Die fette Ãberschrift lieà ihn erzittern.
Die politische Brisanz des Stückes stand auÃer Zweifel.
Er ging durch die Menge und redete sich ein, Freude zu empfinden, daà niemand in dem braven, unscheinbaren Ferdinand Bronner den vielzitierten und vielgelästerten Franz Adamus vermutete. Aber es muà eine groÃe Anstrengung für ihn gewesen sein, sein Geheimnis bei sich zu behalten.
Würde er endlich in den Kreis der Dichter aufgenommen werden? Er sehnte sich nach Anerkennung. Mit einer gewissen Berühmtheit wäre der Fluch der Abstammung von ihm genommen. Auch ging es ihm ums Materielle. Kunst geht nach Brot.
Schon vor dem Volkstheater registrierte Ferdinand Polizisten in den StraÃen um das Theater, Polizisten mit ihren feschen Uniformen, die Schnurrbärte sauber gestutzt. Im Vestibül drängte er sich an den Menschen vorbei. Herren im Smoking und Damen mit kostbaren Ohrringen, Gymnasiasten mit Uniformmützen, die ihm zuwinkten, schöne Mädchen in schwingenden Kleidern, aber auch aufgeregte, in Schale geworfene Kleinbürger, ein paar Arbeiter und schnurrbärtige Sozialdemokraten, hemdsärmlige Gewerkschafter.
Was Alfred Freiherr von Berger, der frühere Sekretär des Burgtheaters, in seinem Zeitungsbericht prophezeit hatte, daà die Sozialdemokraten â im Stück die Arbeiter â kaum Freude an dem Stück haben würden, trat bei der Aufführung ein. Pickelhauben glänzten von den Galerien
herab, die Polizei war überall. Ein junger Mann verteilte Flugblätter und wurde von Polizisten abgeführt. Es gab Unruhe im Publikum, wie Hermann Bahr in seiner Besprechung schrieb, »es lag von Anfang an eine schwere Beklemmung auf dem Hause, wie eine schwarze und drohende Wolke, zum Bersten schwül. Einer sah den anderen fragend an: Darf man denn das, auch den Arbeitern die Wahrheit sagen?«
Bürger und junge Sozialisten auf den Stehplätzen in Parterre und Galerie protestierten während der Aufführung lauthals, und Ferdinand befürchtete schon, daà man abbrechen würde. Dann regte sich Widerspruch, die Protestierenden kamen nicht an gegen den Sturm der Begeisterung, der sich von Akt zu Akt mehr steigerte. Die authentischen Grubenarbeiter-Kostüme bekamen Sonderbeifall.
Das alles mag Ferdinand erfreut, aber innerlich nicht bewegt haben. Worauf er wartete, war die Abrechnung Roberts, der Hauptfigur des Dramas, mit seinem Vater: »aller Jammer und alles Elend â mein ganzes verpfuschtes Leben â das hab' ich mit ein'mal in mir gespiert (â¦) als müÃt' ich Gott vom Himmel herunterreiÃen und vor meine Kugel
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