Meine Wut ist jung
keine Angst oder ich hatte sie verdrängt. Sie müssen sich vorstellen: Sie sitzen in einem Auto und neben Ihnen in der Tür hängt eine Maschinenpistole und Sie sind umgeben von schwer bewaffneten Polizeibeamten. Das Auto war ein gepanzerter Mercedes und wir fuhren außerdem immer in einer Kolonne mit drei Autos. Ich saß im mittleren Fahrzeug, eines fuhr voran und ein weiteres hinterher. In den Hoch-Zeiten der Bedrohung kamen noch zwei Motorräder dazu. Es war nicht ungefährlich, sich mit einer solchen Kolonne durch den Straßenverkehr zu bewegen. Es musste unbedingt verhindert werden, dass sich ein anderes Fahrzeug in die Kolonne schob. Peinlich war mir, wenn ich im Wahlkampf in einer Fußgängerzone mit dieser Eskorte erschien. Ich versuchte dann, das Zivile zu betonen, indem ich vorher ausstieg. Für mich war dieser Sicherheitsstatus im Gegensatz zu anderen Kollegen kein Prestigefaktor. Merkwürdigerweise fühlte ich mich auch nicht unmittelbar bedroht. Das allerdings war eine Fehleinschätzung. Später erfuhr ich, dass ich auch auf der Liste möglicher Terroropfer stand.
Einschneidend waren die Veränderungen im Familienleben, durch die Sicherheitsvorkehrungen, viel mehr aber durch die Belastungen, die das neue Amt mit sich brachten. Das heißt, wenn ich mal zu Hause war, wollte ich nicht unbedingt mit familiären Problemen belastet werden. Ich war ein Schönwettervater. Ich konnte mich meiner Familie leider nicht hinreichend widmen, und habe sie dadurch sehr belastet.
Gab es in dieser Zeit Menschen, mit denen Sie offen über persönliche Sorgen, über Probleme und auch über Ängste reden konnten?
Gespräche gab es in der Familie und mit einigen vertrauten Jugendfreunden. Es gab sie in der Partei und natürlich auch im Ministerium. Ich hatte zum Beispiel ein enges Vertrauensverhältnis zu Andreas von Schoeler, meinem Parlamentarischen Staatssekretär. Vertrauter war vor allem mein Planungschef Klaus Thomsen, ein kreativer, mutiger Mann, im Ministerium allerdings nicht unumstritten. Mit ihm konnte ich wirklich alles intensiv besprechen. Ich hatte weitere hoch qualifizierte Mitarbeiter, die später in der Wirtschaft hochrangige Positionen besetzt haben. Und natürlich die beiden beamteten Staatssekretäre. Mir war klar: Man kann nicht gegen, sondern nur mit den Verantwortlichen im Ministerium arbeiten. Sie haben die notwendige Qualifikation und die meisten lassen sich motivieren. Wenn ein Problem zu lösen war, brachte ich alle Beteiligten an einen Tisch und oft hatte einer, der überhaupt keinen »Rang« hatte, plötzlich die Lösung. Ich wollte immer auch unmittelbar mit den Menschen reden und nicht nur über Vermerke kommunizieren. Mein Prinzip war Transparenz.
Das Ministeramt steht ja in einem Spannungsverhältnis. Einerseits sind Sie Chef einer großen Behörde und Sachzwängen unterworfen, andererseits sind Sie Politiker. Sie gehen in die Öffentlichkeit, reden auf Kongressen, reden auf Wahlveranstaltungen, haben mit den Bürgern zu tun. Unzählige Menschen machen Vorschläge, geben Anregungen. Und dann kommt man angefüllt mit all diesen Ideen in das Ministerium zurück und fragt sich: Können wir das nicht so machen, müssen wir nicht da noch etwas ändern? In vielen Fällen konnte man wirklich etwas tun, in anderen musste ich lernen, dass Zusagen und Festlegungen nicht einzulösen waren. Aber ich blieb der Mann, der nicht nur am Schreibtisch im Ministerium saß, sondern auch die Außenwelt intensiv wahrnahm. Ich habe viele Anregungen und Impulse von außen in das Ministerium hineingetragen.
Konnte man denn so viele unterschiedliche Themen alle durchdringen? Schafft man das als Minister?
Ich versuchte, keine Entscheidung unter Stress zu fällen. Wenn sie nicht ausgereift war, wurde sie vertieft. Ich bin natürlich nicht allen Ratschlägen gefolgt. Das Interessante beginnt erst, wenn man nachbohrt, wenn man versucht, neue Wege zu finden. Das gelingt manchmal, aber in vielen Fällen ist man doch von Anfang an richtig beraten worden. Ich kann allen Menschen, die in verantwortlicher Position stehen, nur empfehlen: Nehmen Sie die Leute ernst, die mit Ihnen zusammenarbeiten, und ermuntern Sie diese zur Kritik; sie sind dann motiviert und helfen Ihnen. Menschen, die Ihnen nur schmeicheln, sind schlechte Berater. Ich hatte gute Berater, unabhängig von ihrer parteipolitischen Prägung. Meine beiden Büroleiter etwa waren CDU-Mitglieder und sind später bei Kohl Staatssekretäre geworden. Dennoch haben sie
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