Meine Wut ist jung
verantwortlich war - stand die Frage der Nachfolge an.
Hat Maihofer Sie vorher informiert, dass er zurücktreten wird? Waren Sie da eingeschaltet?
Alles ging ganz schnell. Genscher hatte sich für mich entschieden und den zögernden Bundeskanzler Helmut Schmidt vor vollendete Tatsachen gestellt. Ich galt zunächst auch in der öffentlichen Meinung als zweite Wahl. Eine gar nicht so unkomfortable Position, weil man dann die Chance hat, das Gegenteil zu beweisen.
Zweite Wahl, weil Sie als Linksliberaler eingeschätzt wurden oder weil man sagte: Das Ding ist zu groß für den Baum?
Manche wollten mich unter keinen Umständen wegen meiner politischen Überzeugung und andere hatten Zweifel, ob ich dem Amt gewachsen war, vor allem im Umgang mit den Sicherheitsbehörden. Das war in der Tat eine schwierige Situation. Ich wurde sehr kritisch beobachtet und musste rasch Vertrauen gewinnen, was mir auch gelungen ist. So pflegte ich einen ständigen vertrauensvollen Austausch mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes, Horst Herold. Herold hat sich große Verdienste bei der Bekämpfung des RAF-Terrorismus erworben. Er war ein kluger Analytiker und hatte auch die gesellschaftlichen Umstände im Blick. Dass ich am Ende seiner Amtszeit eine Kontroverse mit ihm hatte, änderte nichts an meiner Wertschätzung. Von der Öffentlichkeit weniger beachtet, leistete auch das Bundesamt für Verfassungsschutz wichtige Beiträge bei der Bekämpfung der RAF. Mit seinem Präsidenten, Richard Meier, verband mich ebenfalls ein intensives Gesprächsverhältnis. Im Übrigen hatte ich ein gutes kollegiales Arbeitsverhältnis mit einem engen Vertrauten des Bundeskanzlers, mit dem damaligen Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel. Wir haben uns oft abgestimmt. Der Bundeskanzler hatte mir als Erstes die Aufgabe gestellt, Konsequenzen aus der Schleyer-Panne zu ziehen. Ein wichtiger Schritt war, die Zuständigkeiten und den Informationsaustausch zwischen Bund und Ländern neu zu ordnen. Das ist ja auch heute nach den Morden der Zwickauer Terrorzelle wieder eine sehr aktuelle Frage.
Hatten Sie überhaupt eine Sekunde gezögert, dieses Amt anzunehmen, oder war es so, dass Sie sagten: »Da freue ich mich drauf.«?
Ich habe mich nicht ausdrücklich um dieses Amt beworben. Schnell habe ich allerdings gemerkt, dass ich in die engere Wahl kommen würde, und habe dann von heute auf morgen das Amt übernommen. Ich hatte plötzlich eine Riesenverantwortung. Natürlich kannte ich die Personen, mit denen ich es zu tun hatte, und die Materie war mir nicht fremd. Denn ich arbeitete in diesem Ministerium bereits seit sechseinhalb Jahren als Parlamentarischer Staatssekretär.
Mit diesem Amt traten Sie natürlich in den Fokus terroristischer Bedrohungen. Wie wirkte sich diese Situation auf Ihr Alltagsleben aus?
Mit der Amtsübernahme trat eine entscheidende Veränderung ein: Ich durfte ohne Polizeischutz nirgendwo mehr hingehen. Nicht einmal auf die Toilette in einem Lokal. Im Hotel wachten die ganze Nacht Sicherheitsbeamte vor meiner Tür. Außerhalb meiner Wohnung war ich immer in Begleitung von mindestens vier Personen. Von einem Spaziergang durch den Kölner Stadtwald gibt es ein sehr bekanntes Foto: Meine Tochter Julia geht neben mir und um uns herum sichern vier Polizeibeamte mit Blicken nach allen Seiten das Gelände. Mein Privathaus wurde zu einer Festung. Tag und Nacht saßen Polizisten in einem Container davor. Überall waren Bewegungsmelder. Wenn ein Kaninchen über die Wiese lief, wurde es taghell. Ich war aus einer Stadtwohnung in ein Einfamilienhaus mit großem Garten gezogen, um wenigstens ohne polizeiliche Begleitung mal an die frische Luft gehen zu können.
Wie geht man mit so einem Verlust an Privatheit um?
Ich hatte ohnehin wenig Zeit für ein Privatleben. Es gab damals kein Ministerium mit einem so weit gefächerten Zuständigkeitsbereich: Ich war Sicherheitsminister, Umweltminister, zuständig auch für die Reaktorsicherheit; ich war Sportminister und auch zuständig für Kultur und Medien. Das Innenministerium war und ist das Verfassungsministerium des Bundes. Eine wichtige Zuständigkeit ist auch der Öffentliche Dienst. Eine der spannendsten Aufgaben waren für mich die Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst mit dem legendären Gewerkschaftsvorsitzenden Heinz Kluncker.
Lassen Sie uns noch einmal auf die Sicherheitsfrage kommen. Man erlebte, wie Protagonisten dieses Staates ermordet wurden. Fühlten Sie sich bedroht?
Ich hatte
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