Meine Wut ist jung
mich loyal beraten.
Eine Reihe von Verbrechen der RAF sind bis heute nicht oder nur ansatzweise geklärt. Sehen Sie hier ein Versagen des Staates, der noch konsequenter hätte vorgehen müssen?
Zunächst: Die meisten Taten sind aufgeklärt und der Staat konnte den Terroristen das Handwerk legen. Die RAF gibt es seit geraumer Zeit nicht mehr, sie hat sich 1998 mit einer Abschlusserklärung selbst aufgelöst. Die RAF verschwand spurlos. Am Ende seiner aufschlussreichen »Geschichte der RAF« stellt Willi Winkler fest: »Der Sinn der Organisation RAF war ihr Scheitern.« Wir haben verschiedene Phasen des RAF-Terrorismus und auch unterschiedliche Motivationen erlebt. Die politische Motivation wurde u.a. gespeist durch einen militanten Antiamerikanismus, ausgelöst durch den Vietnamkrieg. Darum auch Anschläge auf amerikanische Einrichtungen und Personen. Kritik am Vietnamkrieg war allerdings damals weit verbreitet und erklärt das Sympathiefeld zu Beginn der RAF. Auch ich habe damals wie viele junge Menschen gegen den Vietnamkrieg demonstriert, aber - wie die Mehrzahl - Gewalt abgelehnt. Als Motivation für Gewalttaten kam der Hass auf den Kapitalismus und seine Repräsentanten hinzu, wie zum Beispiel gegen den Bankier Alfred Herrhausen, allerdings damals einer der liberalsten Wirtschaftsrepräsentanten der Republik. Motivation war auch das verhasste »Unterdrückungssystem«. Als Beispiele nenne ich die Anschläge auf den Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann in Berlin - im Übrigen der erste politische Mord 1974, am Tag nach dem Hungerstreik-Tod von Holger Meins - und später auf den Generalbundesanwalt Siegfried Buback.
Eine weitere Phase war ganz auf die Befreiung der in Stammheim Inhaftierten gezielt. Dazu gehörten u.a. die Morde an Jürgen Ponto, Vorstandssprecher der Dresdner Bank, und an Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer und seinen Begleitern.
Schließlich folgte die Phase der bis heute unaufgeklärten Taten ab Ende der 1980er-Jahre: gegen Gerold von Braunmühl, einen Diplomaten, den man erschossen hat, weil man ihm eine andere Zuständigkeit im Ministerium unterstellte, als er wirklich hatte. Dazu gehören auch die Morde an Alfred Herrhausen, an den Managern Detlev Rohwedder, Karl Heinz Beckurts und Ernst Zimmermann.
Die Täter der sogenannten dritten RAF-Generation hatten aus den Fehlern ihrer Vorgänger gelernt. Sie sind für die Taten aufgetaucht und dann wieder verschwunden. Wir haben bis heute keine genaue Kenntnis, wer sie sind und wo sie sind. Es gibt allerdings Hinweise auf mögliche Täter. Ich nehme an, wenn nicht einer auf dem Totenbett spricht, werden wir nie erfahren, wer diese waren. Es gibt Ex-Terroristen, die wir kennen und die diese Täter kennen müssten. Sie reden aber nicht. Hier gilt die RAF-Omérta.
Müsste das nicht endlich aufgeklärt werden?
Wenn irgendwie möglich, ja. Von meinem Umgang mit Opfern der verschiedensten Art, von Flugzeugkatastrophen bis zur Duisburg-Loveparade, weiß ich, alle haben den dringenden Wunsch: Wir möchten wissen, was wirklich passiert ist, wer als Person verantwortlich ist.
Das treibt ja auch Michael Buback an, den Sohn des ermordeten Siegfried Buback. Allerdings treibt ihn dieses Bedürfnis bis hin zu Verschwörungstheorien, die keine reale Grundlage haben. Aber er möchte unbedingt wissen - und das respektiere ich - wer seinen Vater wirklich erschossen hat. Wir wissen, dass daran eine ganze Gruppe beteiligt war. Die konkreten Tatbeiträge waren bisher nicht zu rekonstruieren, auch nicht im Gerichtsverfahren gegen Verena Becker.
Wie kam es eigentlich, dass so viele Frauen in der RAF waren?
Zu dieser in der Tat hochinteressanten Frage hat die Bielefelder Geschichtswissenschaftlerin Gisela Diewald-Kerkmann ausführlich geforscht und publiziert. Generell kann man feststellen, dass in der 68er-Bewegung Frauen zunehmend politisch aktiv wurden.
Hat der Staat aus heutiger Sicht Fehler gemacht und dazu beigetragen, dass die Gewalt eskalierte?
Leider ja. Es wurde bisweilen Öl ins Feuer gegossen, statt zu beruhigen. Es gab Fakten, die zweifellos die Täter motiviert haben, zum Beispiel »Isolationsfolter«. Problematisch ist schon der Begriff. Dennoch, das hätte nicht passieren dürfen, auch wenn es sich um Ausnahmefälle handelte. Diese allerdings hatten eine große Wirkung, auch auf das Sympathisantenfeld. Wie zum Beispiel der Fall Ulrike Meinhof, die in einem toten Trakt des Kölner Gefängnisses ein Zeit lang völlig allein
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