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Meine Wut ist jung

Meine Wut ist jung

Titel: Meine Wut ist jung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhart Baum
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inhaftiert war. Eine psychisch unerträglich belastende Situation. Ein anderes Extrem war Stammheim: Die Gefangenen in Stammheim haben so komfortabel zusammengelebt, wie keine anderen Untersuchungshäftlinge in der ganzen Republik. Auch der Hungerstreik-Tod von Holger Meins hat eine motivierende Rolle gespielt - und so war er auch angelegt. Der Staat brachte sich mit der Art des Umgangs mit diesem Fall in Kritik.
    Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass der Staat nicht in allen Fällen wohlüberlegt gehandelt hat. Der Eskalation wurde nicht entgegengewirkt. Aber eine Amnestie, die mitunter vorgeschlagen wurde, war für diese Fälle ungeeignet. Schließlich hatten wir es ja mit Mord und anderen schweren Straftaten zu tun. Später haben wir Zeichen gesetzt, die zur Beruhigung beitragen konnten, zur Beruhigung insbesondere des ziemlich umfangreichen Feldes der Unterstützer und Sympathisanten. Nur eine Minderheit von ihnen hat sich strafbar gemacht. Etwa tausend Personen sind wegen Unterstützung der RAF verurteilt worden.
    In meinem umstrittenen »Spiegel«-Gespräch mit dem Ex-Terroristen Horst Mahler 1980 - später veröffentlicht unter dem Titel »Der Minister und der Terrorist« - habe ich unter Protest der Opposition gesagt, dass man »den Zusammenhang zwischen den Sündenfällen des Staates und der Feindschaft gegen den Staat nicht leugnen darf«. Mit diesem Gespräch wollte ich in die Sympathisantenszene hineinwirken. Die Opposition reagierte im Bundestag mit einem Misstrauensantrag gegen mich.
    Meine Antiterror-Strategie war eines der Hauptthemen im Bundeswahlkampf 1980. Die Opposition drang mit ihrer Kritik beim Wähler nicht durch. Wir hatten mit 10,8 Prozent ein tolles Wahl-ergebnis. Umso unverständlicher war, dass nach der Wende 1982 meine Partei einen meiner schärfsten Gegner als Nachfolger akzeptierte, den Strauß-Intimus Friedrich Zimmermann.
    Wie erklären Sie sich, dass es anfänglich eine so starke Unterstützerszene gab, auch klammheimliche Unterstützer, linke Denker, die selbst nie Gewalt angewendet hätten?
    Nur eine Minderheit hat Gewalt zur Erreichung politischer Ziele befürwortet! Diese Ziele aber waren besonders bei den jungen Menschen weit verbreitet: die Kritik am kapitalistischen System, auch der Hass auf die Amerikaner. Sogar Otto Schily versuchte damals, den Anschlag auf eine US-Kaserne zu erklären. Schließlich trat immer stärker ein antizionistisches Element hinzu. Die Terroristen fanden Unterstützung bei palästinensischen Terrorgruppen. Um diese Verbindungen zu schwächen, habe ich 1978 in Tripolis im Auftrag der Bundesregierung sogar ein Gespräch mit Muammar Gaddafi geführt. Es war nicht ganz erfolglos: Einige palästinensische Täter wurden deaktiviert.
    Wie ist denn aus heutiger Sicht das Verhalten der damaligen DDR gegenüber RAF-Mitgliedern zu bewerten?
    Es war wohl das Interesse des DDR-Regimes, der Bundesrepublik zu schaden. Wir wussten bereits, dass mitunter Reisen der Terroristen über die DDR erfolgten. Von einer weiteren aktiven Unterstützerrolle der DDR war allerdings nur Weniges bekannt. So hatten wir zum Beispiel keine Kenntnis davon, dass RAF-Terroristen in der DDR aufgenommen und mit neuen Biografien ausgestattet wurden. RAF-Terroristen sollen dort auch an Waffen trainiert worden sein. Aber das blieb alles im Dunkeln. Andererseits hatten wir im Gegensatz zur Haltung der DDR bei unseren Fahndungen die Unterstützung einiger osteuropäischer Staaten, wie zum Beispiel von Bulgarien. Der jugoslawische Staatspräsident Tito dagegen hat uns in einer sehr kritischen Situation die Auslieferung von Top-RAF-Leuten, darunter Brigitte Mohnhaupt, verweigert. Hätte Tito kooperiert, wären vermutlich mehrere Taten später zu verhindern gewesen.
    Haben Sie sofort die Gefahr gesehen, welche Folgen sich ergeben können, wenn die Angst und nicht die Vernunft das Strafrecht und die Gesetzgebung allgemein beeinflusste, wie es damals geschehen ist?
    Tatsächlich ein Gedanke, der mich nicht mehr losgelassen hat. Mein Freund Burkhard Hirsch sagt immer, wir haben seit dieser RAF-Zeit unablässig eine sicherheitspolitische Aufrüstung erlebt, und zwar über die Jahre hinweg bis heute in mehreren Stufen. Nicht nur durch Verschärfung der Gesetze im Strafprozessrecht, sondern auch durch die Art der Fahndung, in die immer mehr unbeteiligte Personen einbezogen wurden. Der Weg in den Präventionsstaat nahm hier seinen Anfang. Wer zum Beispiel im Zug neben einem Sympathisanten der RAF

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