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Meine Wut rettet mich

Meine Wut rettet mich

Titel: Meine Wut rettet mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlis Prinzing
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Bibel im Angebot eines Discounters fand, man müsse sich den Inhalt der Worte entschlüsseln. Und laut und vernehmlich davon reden, was einem heilig ist.
    Mit ihren Predigten will die Bischöfin dazu beitragen. Sie will Themen, die Menschen unmittelbar angehen, durch eine klingende Sprache mit biblischen Überlieferungen verbinden. Kirsten Fehrs komponiert ihre Predigten regelrecht, sie legt großen Wert auf das passende Wort: da klingen »Segensworte«, »Hoffnungsworte«, »Lebensworte«. Worte, die einem »was sagen«, die »einleuchtend sind«, »dich erwischen«, »liebkosen« und »träumen lassen« oder einem »querkommen«, »Worte, die, um sie zu hören, gesagt werden müssen«. Mit solchen Wortmelodien führte sie bei ihrer Einsetzung als Bischöfin am 26. November 2011 hin zu einer Rede Jesu vor dem am Boden zerstörten Volk Israel. Alle waren verzweifelt, hatten nicht auf den Propheten Jesaja gehört, der ihnen vorhergesagt hatte, dass es so kommen würde, weil wenige auf Kosten vieler lebten. »Jesus stellte sie nun aber nicht zur Rede, sondern rief das Gnadenjahr aus«, zitierte die Bischöfin die biblische Überlieferung und verknüpfte sie mit der Gegenwart. »Höchste Zeit, dass wir gnädiger miteinander umgehen.« Seelisch gnädiger, indem man inmitten der Schnelllebigkeit auch die Pause zu ihrem Recht kommen lasse. Ökologisch, indem wirksame Klima beschlüsse umgesetzt werden. Religiös, indem man »endlich couragiert fundamentalistischen Hetzreden Einhalt« gebiete und sich für eine »Ökumene der Dialogkultur« einsetze.
    Der neuen Bischöfin eilt der Ruf voraus, sie sei eine Expertin des Dialogs. Diese Kunst schliff sie seit Jahrzehnten – in Seelsorgegesprächen während des Studiums ebenso, wie später als Hamburger Hauptpastorin und Pröpstin an »Runden Tischen«, wo sie mit Geschäftsleuten, Behördenvertretern, Politikern und Polizei beriet, wie sich Missständen konkret etwas entgegensetzen ließ. Auch das Gespür für den passenden Ton fiel nicht vom Himmel, hier schöpft sie, im übertragenen Sinne, aus ihrer Musikalität. Sie mag klassischen Jazz, singt auch gerne selbst, sie liebt die Werke von Johann Sebastian Bach und bezeichnet Musik als »Sprache des Glaubens«. Etwas weiteres kommt hinzu: das Politische, der Wille, sich einzumischen und mitzugestalten.
    Das Politische liegt Kirsten Fehrs im Blut. Die Bürgermeistertochter aus Wesselburen in Schleswig-Holstein wuchs mit zwei Schwestern und einem Bruder auf, ihre sieben Jahre ältere Schwester, die Ingenieurin und Politologin Sabine Kunst, tauschte im Februar 2011 ihren Posten als Universitätspräsidentin ein gegen den der parteilosen Wissenschaftsministerin in Brandenburg. Auch die »kleine Schwester« Kirsten bewegt sich routiniert auf vielfältigen Bühnen, auch auf jenen der Politiker und der Intellektuellen. Kollegen wie Bewunderer rühmen ihr diplomatisches Geschick, Kritiker hingegen mäkeln, sie sei zu harmoniebetont. An ihr könne man sich nicht reiben. Sie widerspricht entschieden. Aber sie wirkt dabei nicht genervt oder aufgebracht. Nein, sie sei wirklich nicht konfliktscheu. »Im Gegenteil. Ich gehe Konflikte sehr rechtzeitig an, sobald ich sie erkenne.«
    Wesselburen, die kleinste Stadt Dithmarschens, zählt heute 3.300 Einwohner, erhielt aber schon vor weit über hundert Jahren durch höchste Kabinettsorder die Stadtrechte, als Würdigung der Leistungen bei der Industrialisierung am Ende des 19. Jahrhunderts. Das macht stolz; ebenso, dass der Dramatiker Friedrich Hebbel (1813–1863) ein Sohn der Stadt ist. Man kennt sich in Wesselburen. Kirsten Fehrs Mutter war vor allem Gattin und zog die Kinder groß. Erst später, nach dem Tod ihres Mannes, erlaubte sie sich, was sie vermisst hatte und worum sie ihre Töchter beneidete: eigenes Engagement, eigenen Erfolg – und wurde quasi als Lohn für ihren sozialen Einsatz Ehrenbürgerin. Von ihrer Mutter habe sie das Kämpferische und die Lebensfreude. Ihren Vater, Otto B. Wernecke, beschreibt sie als »grundgütig, verlässlich, aber fast nie da«. Er war von 1950 bis 1974 Bürgermeister, der Grund, weshalb sie sich als Mädchen und Teenager dauernd von der Öffentlichkeit beobachtet fühlte. Nur in der Kirche eröffnete sich ihr in Gestalt eines aufgeschlossenen Pastors ein Schutzraum, in dem sie unter anderem den Platz fand, sich zu überlegen, welcher Beruf zu ihr passte. Der Pastor gefiel ihr in mehrfacher Hinsicht, erzählt sie – und lacht: Er sah gut aus, er

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