Meine Wut rettet mich
stand mitten im Leben und er versah sein Amt mit großer Würde. Durch dieses Vorbild reifte ihr Entschluss, nach dem Abitur evangelische Theologie in Hamburg zu studieren.
Nach dem ersten Schrecken – Graecum! Hebraicum! Philosophie, die sie nicht verstand! – öffnete sie sich ihren eigenen Zugang, indem sie Seelsorge lernte und praktizierte: im Krankenhaus, in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, in der Urlauberbetreuung. Auf diesem Weg erschloss sie sich dann die Theorie der Philosophie und Theologie. Nach dem Examen musste sie ein Jahr auf das Vikariat warten. Sie nutzte diese Zeit für eine Pfarrstellenvertretung in der Justizvollzugsanstalt und übernahm einen Seelsorgeauftrag des Kirchenkreises Alt-Hamburg: Sie beantwortete 7000 Briefe von Ausgetretenen.
1990 wurde ein Jahr vielfältiger Weichenstellungen: Die Theologin schloss ihr Vikariat in der Ostseegemeinde Waabs ab, heiratete den Pastor Karsten Fehrs, wurde als Pastorin ordiniert und teilte sich mit ihrem Mann die Pfarrstelle in Hohenwestedt. Wenn der hagere, weit mehr als einen Kopf größere Theologe mit ihr in der ersten Reihe sitzt, sie am Rednerpult oder auf der Kanzel erlebt, spürt man: Er ist stolz auf seine Frau, die Bischöfin: Karsten und Kirsten – das Powerteam.
Kirsten Fehrs startete rasch durch. Sie übernahm zusätzlich zur Pastorenstelle den Auftrag, die Erwachsenenbildung aufzubauen, aus der 1997 ein Bildungswerk entstand, mit dem Konzept der lebensbegleitenden Bildung. Zu diesem Thema erhielt sie im Sommer 1999 einen Lehrauftrag für Praktische Theologie an der Universität in Zürich. Im Jahr 2000 stellte sie weitere Weichen. Sie wechselte auf einen Führungsposten in der Personal- und Gemeindeentwicklung im Kirchenkreis Rendsburg, war in diesem Bereich letztlich für ganz Nordelbien zuständig und schulte ihre kirchenpolitische Kompetenz im nordelbischen Reformprozess. 2006 stieg sie auf zur Hauptpastorin in St. Jacobi und damit zur ersten Geistlichen unter mehreren Pastoren, und war die erste Frau in diesem Amt in der 750-jährigen Geschichte der Kirche; zudem wurde sie im Kirchenkreis Hamburg-Ost Pröpstin, also eine Vertreterin des Bischofs in der Kirchenleitung.
Ein wichtiger Mentor auf diesem Weg ist Gerhard Ulrich, der leitende Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. Er lernte sie kennen als Vikarin, er traute sie, und als er ihr am 26. November 2011 das Bischofskreuz um den Hals legte, erklärte er: »Deine große Gabe, gesprächsfähig zu sein und im Gespräch schon Visionen zu entwickeln, den Weg nach vorn zu beschreiben, wird in deinem neuen Amt sichtbar sein.« Er knüpfte damit an einen Satz an, den Kirsten Fehrs bereits im Vorfeld ihrer Wahl geäußert hatte zum Umbruch, welchen die Kirche des Nordens bewältigen muss nach Pfingsten 2012, nach der rechtskräftigen Fusion der Landeskirchen Nordelbien, Mecklenburg und Pommern zu einer gemeinsamen Nordkirche. Leitendes Handeln bedeute, in Krisen an Visionen zu erinnern und zur richtigen Zeit wieder innezuhalten. Dieses Bild führte Fehrs in ihrer Predigt zur Amtseinsetzung fort, indem sie auf Jesu Ankündigung des Gnadenjahres verwies.
Der Bischofswahl im Juni 2011 ging eine aufreibende Kandidatensuche voraus. Das hatte zwei Gründe: Man wollte zumindest eine Frau unter den Kandidaten, damit in der neuen Nordkirche nicht alle vier Bischöfe Männer sind. Und der Bischofsposten in Hamburg schien offenbar etlichen zu riskant, weil das genaue Profil nach der Kirchenfusion noch ungewiss war, aber bereits feststand, dass die Leitungsspitze nicht in Hamburg, sondern in Schwerin sein wird.
Kirsten Fehrs benötigte vier Wahlgänge. Im ersten und zweiten Durchgang erzielte sie jeweils 62 von 121 Stimmen. Ihre Konkurrentin, die Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Petra Bahr aus Berlin, erhielt 58 Stimmen. Im dritten Wahlgang gewann Fehrs eine Stimme hinzu, im vierten durfte Bahr wegen der geringeren Stimmenzahl nicht mehr antreten, Fehrs erreichte nun 97 Stimmen und schaffte damit locker die Mindesthürde von 71 Stimmen. Diese errechnete sich aus der Gesamtsitzzahl von 140 wahlberechtigten Synodalen, auch wenn nur 121 von ihnen anwesend waren. Wäre ihr nicht gelungen, diese Hürde zu überspringen, hätte die Stelle neu ausgeschrieben werden müssen. So aber gibt es in den 22 evangelischen Landeskirchen in Deutschland wieder zwei Bischöfinnen; die andere ist Ilse Junkermann, die der Evangelischen Kirche in
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