Meine Wut rettet mich
sie erschüttert und auch wütend mache, sagt sie. Oft direkt vor ihrer Haustür, mitten in Hamburg. Das setzt in ihr immer wieder neue Energie frei. Sie will nicht zusehen und »fromm daherreden«, sondern handeln, damit diesen Menschen konkret geholfen wird. Und sie will andere an ihre Seite holen – Polizisten, Straßenarbeiter, Behörden, Politiker, Unternehmer. Nicht verbissen, sondern fröhlich. Kirsten Fehrs lacht gerne und nennt sich einen »glücklichen Menschen. Ich fühle mich geborgen und durch Gott getragen«.
Die Geschäftsfelder einer Bischöfin sind vielfältig. Ihre Hauptaufgabe ist die geistliche Leitung des Sprengels. Sie entwickelt als Mitglied der Kirchenleitung und des Bischofskollegiums Zukunftsstrategien für die Kirche mit und vertritt die Nordelbische Kirche gegenüber Politik und Gesellschaft. Sie beaufsichtigt Pröpstinnen und Pröpste, ordiniert Pastorinnen und Pastoren. Ihr Leitbild ist, als Bischöfin »mit Herz und Verstand« aufzutreten. Ihre Einstellung zum Glauben machte sie in ihrer ersten Predigt im neuen Amt an einem Abschnitt aus der Apostelgeschichte klar: »Und er zog seine Straße fröhlich.« Die Erzählung handelt von einem äthiopischen Kaufmann, der es als Segen erfährt, nicht alles wissen zu müssen, sondern endlich glauben zu können. Er lässt sich taufen und zieht frohgemut weiter. Er weiß sich von da an unter dem Schutz von Jesus Christus. Es genügte, dass er getauft wurde; weitere Vorschriften und Hürden waren nicht zu nehmen. Ähnlich unkompliziert will Kirsten Fehrs zugehen auf jene, die sich für den Glauben begeistern lassen. Und sie vergleicht den Kaufmann mit sich selbst, sieht sich in ähnlicher Stimmung auf dem Weg: »Fröhlich. Mit Segensworten im Rücken. Über die Schwellen, die man gehen will oder gehen muss. Fröhlich, weil so viel vor einem liegt.« So verkündigte sie von der Kanzel im Dom zu Lübeck.
Sie wollte unbedingt hier in ihr Amt eingeführt werden. Denn in dieser Stadt trauern die Gläubigen dem Bischofssitz nach, den sie bei der Zusammenlegung der Sprengel an Hamburg verloren haben. Deshalb wollte sie in Lübeck besonders deutlich Präsenz zeigen … – Kirsten Fehrs überlässt wenig dem Zufall. Aber sie lässt sich ein. Trotz vollem Terminkalender, der sich nur noch mit Fahrer und Dienstwagen managen lässt. Fröhlich.
GESPRÄCH
»Kirche ist Zufluchtsort und gesellschaftliche Stimme derer, die sich sonst nicht äußern können.«
Margret Witzke, Lübeck
RUDERN ZWEI
Rudern zwei
ein boot,
der eine
kundig der sterne,
der andre
kundig der stürme,
wird der eine
führn durch die sterne,
wird der andre
führn durch die stürme,
und am ende ganz am ende
wird das meer in der erinnerung
blau sein
Reiner Kunze 94
Sind Sie heute Morgen schon gelaufen?
Nein, heute Morgen nicht. Ich musste einfach sehr früh los. Normalerweise versuche ich aber, mir die Zeit dafür zu nehmen.
Was schöpfen Sie aus dem regelmäßigen Laufen?
Laufen ist ein Ausgleich für meinen Körper. Eine Körpernähe, ein Körpergefühl zu haben, fördert auch, einfühlsam zu sein bei Begegnungen mit Menschen und einfach bei allem, was einem an einem Tag Aufmerksamkeit abfordert. Mir gibt es ein gutes und ausgeglichenes Gefühl, wenn ich draußen in der Natur gewesen bin und richtig den Körper ausgearbeitet habe, bevor ich meinen Arbeitstag beginne.
Gehen Sie beim Laufen schon den Terminplan des Tages durch?
Nein. Ich zähle Schritte. Im Laufen liegt eine Form von Meditation. Ich verbinde eine bestimmte Schrittfolge mit dem Atemrhythmus. Dieses Ineinanderfließen ist die hochmeditative Seite des Laufens. Es entsteht daraus eine Tausender-Marke, eine Zweitausender-Marke und so weiter, aber nicht als Leistungselement, sondern als eine innere Orientierung, um ein Gefühl für die Strecke zu bekommen, für Grenzen und für Möglichkeiten.
Welche Grenzen? Welche Möglichkeiten?
Ich habe ja nur einen gewissen Zeitraum, um zu laufen. Leider. Laufen könnte ich eigentlich stundenlang, das ist nicht mein Problem. Aber wenn ich zum Beispiel morgens um acht den ersten Termin habe, dann muss ich eben zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder zu Hause sein.
„ Das Schwierigste bei Predigten sind die Anfänge. Anfänge sind im Leben überhaupt das Schwierige. ”
Meditatives Bewegen bewirkt oft, dass einem Gedanken entgegenkommen. Was geht Ihnen durch den Kopf?
Sehr häufig kommen Predigtgedanken. Parallel zum Zählen und Laufen. Keine ganzen Predigten, sondern vor allem
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