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Meine Wut rettet mich

Meine Wut rettet mich

Titel: Meine Wut rettet mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlis Prinzing
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Täter wurden sozusagen offen »angezeigt«. Das ist eine sehr positive mediale Entwicklung. Bei manchen Medien hingegen ist dies gekippt. Sie haben Betroffene in gewisser Weise wiederum stigmatisiert durch die Art und Weise, wie sie sie mit jeder erneuten Berichterstattung immer wieder auf das »Opfersein« reduzierten. Manches geschieht schlicht aus Unwissenheit. Ich spüre, auch wir als Kirche benötigen dringend Experten, mit denen wir gemeinsam bearbeiten, was passiert ist und wie man Täterstrategien durchbrechen kann. Sicher muss man in bestimmten Momenten auch blitzschnell reagieren – und ganz sicher immer sorgfältig. Also keine falschen Versprechungen machen, gerade um den Betroffenen gerecht zu werden. In dieser Haltung bin ich mit der Kirchenleitung einig und sehe mich in besonderer Verantwortung als Bischöfin vor Ort.
    Wir befinden uns in der Reformationsdekade, manche nennen sie auch Luther-Dekade. 2017 ist es dann 500 Jahre her, dass Martin Luther seine 95 Thesen an die Wittenberger Schlosskirche angeschlagen hat, ein Datum, das zugleich zum Beginn der weltweiten Reformationsbewegung ernannt wurde. Was hat uns Martin Luther heute zu sagen? Welche Bedeutung hat das, was er gelehrt hat?
    Drei Punkte. Luther hat aus tiefster Glaubensüberzeugung und aus der Grundidee heraus, dass jeder Mensch verstehen können muss, was er glauben darf, ein umfassendes Bildungssystem angestoßen. Er übersetzte die Bibel, wollte, dass Mädchen wie Jungen sie lasen. Es gibt schöne Worte von ihm: Man solle lieber tausend Gulden für die Schulen geben, als auch nur einen für diesen Türkenkrieg. Er ersann schon vor 500 Jahren eine Bildungsreform, die auf Bildungsgerechtigkeit beruhte und bis heute wirkt. Allerdings beklagen wir bei Luther auch Schattenseiten, das ist Punkt zwei. Er fällte ja durchaus krasse Urteile über Männer, Frauen, Türken, Juden, und ist weiß Gott nicht die Diplomatie auf zwei Beinen gewesen. Auch das wird beim Reformationsjubiläum nicht verschwiegen werden. Punkt drei ist ein persönlicher. Luther hat einen Begriff geprägt vom Glauben, in dem viel Lebensfreude steckt. Er beschrieb die Schwierigkeit, Gottes Gnade anzunehmen, ihm und seiner Gnade zu vertrauen mit dem schönen Satz: »An Christus glauben ist die Kunst, dass wir aus dem Haus in die Sonne springen!« Die Sonne lässt Gott scheinen, aber aus dem Haus gehen, das musst du schon selbst tun! Das ist ein so nach vorn bringendes und ermutigendes Glaubenswort! Denn es hat eben nicht nur mit Belastendem, Mühseligem zu tun. Es animiert uns moderne Menschen, aus Gedankengebäuden zu springen, die wir uns bauen, obwohl wir doch ahnen, dass wir die wirkliche Existenz selbst nie erklären können.
    Luther sah sich auch als »armer elendiger sündiger Mensch«.
    Ja, auch das. Er fühlte sich oft bedrängt und suchte zuweilen verzweifelt nach Gnade – bis zu seinem Tod. Gerade die Verbindung beider Bilder ist das Besondere und Wahrhafte. Man muss seine Grenzen nicht verleugnen. Kein Mensch kann dauernd grandios, originell, durchschaubar, transparent, schlau, klug, durchdacht sein. Jede und jeder hat in sich Brüche. Auch mancher Plan bekommt in der Durchführung seine Wendungen und Änderungen, wirkt doch immer eine Kraft in unser Leben hinein, die wir nicht im Griff haben, die unverfügbar ist und nicht kalkulierbar. Das ist eine tägliche, tiefe und existenzielle Wahrheit. Tröstlich ist, wie Luther diesen Gedanken in seinem seelsorgerlichen Sermon über die Bereitung zum Sterben fortführt: Er empfahl, dass wir uns auch im Tode an Christus festhalten, der uns und unser Leben bis in seine Tiefen hinein kennt. »Geleit uns ins Leben aus dem Tod«, singt er in einem frühen Reformationslied. Und seine letzten Worte waren: »Wir sind Bettler, das ist wahr.« Das bedeutet: Was auch geschieht, die Gnade bleibt.
    Welche Bedeutung hat für Sie das Jubiläumsjahr der Reformation?
    Wir können es als Anlass nutzen, um uns in den Gemeinden intensiver damit zu beschäftigen, was wir glauben. Wir denken ja, dass wir das wüssten, dabei haben wir nicht immer die Sprache gefunden, in der wir die Leute heute wirklich erreichen. Ich nenne sie die Herzenssprache. Man sollte dieses Reformationsjubiläum außerdem nutzen, um in den Gemeinden, in den Kindergärten, in den diakonischen Einrichtungen darüber zu reden, was Luther und die Reformation an Modernität für uns in sich bergen.
    Aus Anlass des Papstbesuchs im September 2011 hoffte die evangelische

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