Meine Wut rettet mich
Bischof von Limburg, Franz-Peter Tebartz-van Elst. Neokonservative wie er sind auf dem Vormarsch im Episkopat. Mich erinnert diese Einstellung ein wenig an den Realsozialismus. Auch da hatte die Partei immer recht. Lief etwas schief, dann war das nicht die Partei, sondern der Einzelne. Stalin, Ulbricht oder wer auch immer. Nach der katholischen Lehrmeinung ist die katholische Kirche nicht Menschenwerk, sondern von Gott eingesetzt. Sie ist deshalb ehern und sie kann nicht irren, allenfalls der Einzelne. Luther hingegen unterscheidet eine unsichtbare, göttliche Kirche und eine sichtbare menschliche, die teils schrecklich fehlerhaft sein kann, dafür aber auch veränderbar ist. Eine Synode in der evangelischen Kirche kann grauenhaft grauer Alltag sein, eine Art öffentliche Glaubensverwaltung. Aber es gibt bislang keine Alternative; solche Organe sind nötig, Regeln und Organisationsformen sind nötig. Wir müssen einfach einsehen, dass wir sogar, wenn wir es gut meinen, alles falsch machen können. Das steckt ja in Luthers Rechtfertigungslehre, die übrigens ebenfalls von klugen katholischen Gelehrten geteilt wird: Wir sind immer auf Gnade angewiesen, egal, was wir tun. Man muss Irrtümer eingestehen und Positionen verändern können. Der Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider hat sich entschuldigt, und zwar für die evangelische Kirche als Organisation. Er hat erklärt, wir haben uns schuldig gemacht, weil wir dem Missbrauch nicht rechtzeitig und konsequent Einhalt geboten haben, dafür bitten wir um Entschuldigung. Das ist ganz im lutherischen Sinn. Das hat Qualität.
Sie sind nun 54 und seit 20 Jahren evangelisch. Doch noch viel länger, sozusagen Ihr halbes Leben lang, sind Sie Liberaler und Mitglied der FDP, waren in Hamburg sogar Landesvorsitzender. Inwiefern hat Ihre politische Überzeugung mit Ihrem Glauben zu tun?
Das spielt da gar keine Rolle. Mich prägten Menschen – Liberale wie Karl Hermann Flach oder Ralf Dahrendorf. Durch sie bin ich letztlich in der FDP gelandet und habe sogar am geltenden Grundsatzprogramm maßgeblich mitgeschrieben, später dann in Hamburg eher aus Not den Landesvorsitz übernommen, weil Ingo von Münch 69 mich beschwatzt hat und sagte: »Wir brauchen dich.« Ich habe das aber nicht aus Begeisterung getan.
Das verstehe ich nicht. Vor allem, weil Sie sogar am Programm mitgeschrieben haben. Was fehlte?
Politik als Handwerk war nicht meine Sache. Dazu bin ich zu grundsätzlich. Heute fühle ich mich in der FDP nicht mehr zu Hause.
Warum nicht?
Inhalte des sozialen Liberalismus und des Kulturliberalismus, wie sie Dahrendorf und Flach verkörperten, spielen leider in der aktuellen Diskussion überhaupt keine Rolle mehr. Für mich ist es vielleicht nur noch eine Frage von Tagen, Wochen, allenfalls von Monaten, bis ich meine Mitgliedschaft beende. Nach 27 Jahren.
Wohin werden Sie »konvertieren«?
Wohl nirgendwohin. Die einzige Partei, die mir gerade gefällt, ist die Piratenpartei. Aber über sie weiß ich noch nicht genügend.
Was beeindruckt Sie? Deren Erfolg?
Nein, mich beeindruckt, wie die Piratenpartei liberale Themen behandelt. Zum Beispiel Fragen nach den Rechten des Individuums im globalen Netz, Fragen zu Datensicherheit, Datenschutz und Alternativen zu Google, Apple und Microsoft. Die größte Bedrohung der Freiheit findet in der westlichen Welt heute nicht mehr durch Staaten statt. Sie erfolgt durch international agierende Medienkonzerne und IT-Firmen, denen wir Daten von einer Privatheit anvertrauen, die wir auf konventionellem Weg unseren Arbeitgebern nie freiwillig gegeben hätten. Wenn der Staat das von uns verlangen würde, hätten wir längst einen Aufstand. Ich erinnere mich noch gut an die massiven Proteste gegen die Volkszählung Anfang der Achtzigerjahre. Der politische Liberalismus verpennt dieses Thema und gibt sich einer unglaublichen Ignoranz hin. Ich finde bei den Piraten vieles noch dilettantisch, und es ist noch nicht klar, in welche Richtung sie wirklich gehen. Ich finde aber spannend, was sich entwickelt, und bin neugierig.
Es bleiben fast auch nur die Piraten, die Grünen oder Die Linke …
Bei den Jungsozialisten war ich schon und bei der Jungen Union. Die Grünen erinnern mich zu sehr an die CDU, die sind konservativ und fortschrittsfeindlich wie die Eisenbahngegner im 19. Jahrhundert. Kollektivistische Lösungsmodelle sind mir fremd. Mein politisches Handlungsmodell verkörpert gegenwärtig Peer Steinbrück 70 , ein liberaler Sozialdemokrat,
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