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Meine zwei Halbzeiten

Titel: Meine zwei Halbzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Berger
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Menschenauflauf,
     einschließlich Polizei und Krankenwagen. Wir näherten uns der Menge – und was wir dann erblickten, ließ uns zusammenzucken.
     Der Losverkäufer hatte in der Zwischenzeit beide Flaschen ausgetrunken und lag nun im Delirium auf dem Boden. Gerade war man
     dabei, ihn auf eine Trage zu hieven. Neben ihm befanden sich die Wodkaflaschen, deutlich sichtbar mit einem Etikett aus der
     DDR. Man brauchte nur klug zu kombinieren – und die Spur führte zu unserer Mannschaft. Und da unser Alkoholverkauf illegal
     war, malten wir uns die furchtbarsten Szenarien aus.
    Nach jeder West-Reise mussten die begleitenden Funktionäre Berichte verfassen. In diesen wurde jeder einzelne Spieler, jeder
     Trainer, jeder Delegationsteilnehmer eingeschätzt und «ausgewertet», sportlich, sportpolitisch sowie ideologisch. Da ging
     es darum, wie man sich verhalten hatte: gegen die Prinzipien unseres Staats oder korrekt kommunistisch-sozialistisch. Diese
     Auswertungen gingen an den Sportverband, jedoch auch an die Staatssicherheit. Volker Franke und ich versuchten, nicht weiter
     daran zu denken, was uns blühte, wenn unser verbotenes Tun in den Berichten vermerkt würde. Doch auch diese Aktion hatte kein
     weiteres Nachspiel.
    Später fand ich übrigens heraus, dass sich die Funktionäre sogar untereinander eingeschätzt haben. Die manischen Züge des
     DD R-Systems offenbarten sich auch auf dieser Ebene.
    Aus meinen Stasiakten weiß ich, dass man mich darüber hinaus seit meinem achtzehnten Lebensjahr observierte. Mein Elternhaus,
     Verwandte und Freundeskreis wurden überprüft, es wurde kontrolliert, welchen Umgang, welche Westkontakte ich hatte. Klar,
     wenn man jemanden ins «Feindesland» schickte, wollte man sich nicht dadurch eine Blöße geben, dass derjenige einfach dort
     blieb.
    Zu all den Bespitzelungen und Lügen gehörte auch jene, dass |70| wir Fußballer als Amateure hingestellt wurden, im Westen nannte man das «Staatsamateure». In den staatlich geförderten Vereinen
     erhielten wir jedoch Geld, was ich zumindest heute unter Profitum verbuchen würde. Natürlich lief das nicht offiziell ab,
     mehr nach dem Prinzip «Heute kommt der Weihnachtsmann», und wurde streng geheim gehalten. Der Weihnachtsmann erschien zwar
     nicht auf einem Schlitten, aber mit einem Wartburg aus Berlin, und nicht nur im Dezember jedes Jahres, sondern in einem Abstand
     von drei bis vier Monaten. Einzeln wurden die Spieler, die Staatsamateure, nach seiner Ankunft in ein Zimmer des jeweiligen
     Clubs gebeten. Ich selbst gehörte auch zu den «Auserwählten» des geförderten Leistungssportsystems. Man überreichte mir ein
     Kuvert, anschließend musste ich ein Papier unterschreiben, mit dem ich bestätigte, dass ich den Umschlag erhalten hatte. Mehrere
     Male wurde ich zu dieser Gabenverteilung – im Grunde ein ausgeklügeltes Prämiensystem – gerufen. Manchmal erhielt ich 400,
     es konnten aber auch über 1000   Ost-Mark sein, wenn ich besonders gut gespielt hatte. Einmal waren es nur 200   Ost-Mark, was daran lag, dass ich in dieser Saison eine Verletzung hatte. Die Summe legte der DD R-Fußball -Verband (DFV) nach einem bestimmten System fest: Wie viele Begegnungen hat der Spieler gemacht? Befindet er sich in der Auswahl?
     Wie sind die Leistungen? Wo steht der Verein, dem er zugehört, innerhalb der Meisterschaft? Offiziell wurde natürlich gegen
     die bösen Profis im Westen gewettert.
     
    Mit neunzehn machte ich meinen Führerschein, anfangs noch heimlich. Als ich ihn in der Tasche hatte, war das für mich ein
     großer Moment: Auto fahren zu können bedeutete ein Stück Unabhängigkeit und kam meinem Bedürfnis nach Freiheit entgegen. Mein
     Vater meinte allerdings, als ich ihm von meiner bestandenen Prüfung erzählte, dies sei eine sinnlose Ausgabe gewesen, denn
     mit Friedas Trabi, über den er seit dem Tod seiner Mutter selbst |71| bestimmen konnte, dürfe ich sowieso nicht fahren. Ich hatte ihm jedoch verschwiegen, dass ich durch die Umschläge des «Weihnachtsmanns»
     genügend Erspartes besaß, um mir selbst ein Auto kaufen zu können. Und ebenso, dass ich Horst Kühn auf einen Trabi angesprochen,
     ihm deswegen regelrecht die Pistole auf die Brust gesetzt hatte. Ich wollte einen Wagen – und zwar möglichst sofort.
    Mein Einsatz bei Kühn hatte Erfolg, ich brauchte tatsächlich nur ein halbes Jahr zu warten, bis ich einen Trabi zugewiesen
     bekam. Dafür brauchte ich nicht einmal meine «blauen Fliesen»

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