Meine zwei Halbzeiten
Gesicht bekommen hätte. Man hatte davon gehört, aber keiner von ihnen hatte je eines in der Hand gehalten. Ich dagegen
konnte mit solchen Dingen auftrumpfen. Jedes Mal, wenn wir in Schweden waren, gingen wir zusammen mit den Funktionären ins
Kino. Immer schauten wir gemeinsam Western, weil die als unpolitisch galten. Als ein Mitspieler und ich fast gleichzeitig
bemerkten, dass in dem Kino-Komplex zur selben Uhrzeit ein Sexfilm lief, brauchten wir uns nur zuzunicken. Nach zehn Minuten
und einigen Schusswechseln aus heißen Colts wechselten wir das Kino. Nachdem sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten,
stellten wir plötzlich fest, dass sich fast unsere gesamte Mannschaft in dem Pornokino eingefunden hatte. Kurz vor Schluss
schlichen wir uns pünktlich zum Showdown wieder in den Western. Die uns begleitenden Parteifunktionäre hatten nichts mitbekommen.
Natürlich erzählte ich den Baubrigadisten jede einzelne Sexszene ausführlich und mehrmals.
Ein anderes Mal erschien ich nach einer West-Reise mit einem hellblauen T-Shirt zur Arbeit. Ich fand mich ganz toll darin. Alle |65| blickten mich an, doch von Bewunderung keine Spur. Stattdessen war Fremdheit, Irritation, auch Ablehnung in ihren Gesichtern
zu lesen.
«Was ist denn los?, fragte ich. «Habe ich die Pest?»
«Na ja, dein T-Shirt .»
«Was ist mit meinem T-Shirt ?»
«Es ist hellblau.»
«Und was ist daran so schlimm?»
«Ja, weißt du das denn nicht? Hellblau ist doch die Farbe der Schwulen.»
Das war mir noch nicht bekannt. Sofort zog ich es aus und lieh mir ein Hemd von einem Kumpel. Als Fußballer konnte ich mir
nicht leisten, für homosexuell gehalten zu werden. Nie wieder kaufte ich mir danach etwas Hellblaues.
Meine Reisemöglichkeiten hatten aber auch andere, viel wichtigere Effekte. Wer im Ausland schicke Klamotten, aber auch West-Schallplatten
kaufen konnte, hatte eindeutig mehr Chancen bei den Mädchen – und darauf kam es mir an. Was für eine Ausgangsposition!
In unseren Jugendclubs war diesbezüglich auch richtig was los. Wenn Klaus Renft mit seiner Combo in Leipzig auftrat oder die
Musik von den Butlers aufgelegt wurde, gab es kein Halten mehr. Bei den Partys, die wir selbst organisierten, musste ich West-Musik
mitbringen, dazu Salzstangen und Spreewald-Gurken. Konnte ich all dies erfüllen, gab es, was hübsche Mädchen betraf, nicht
die geringste Mangelwirtschaft. Wenn man wollte, ging man nach einer solchen Fete selten allein ins Bett – auch das war meine
DDR.
Ungefähr ein Jahr vor dem Auftrittsverbot von Klaus Renft und seiner Gruppe, das 1962 verhängt wurde, gab es ein historisches
Ereignis, das mich als Maurerlehrling intensiv beschäftigte – der Bau der Mauer. Ich war damals knapp siebzehn Jahre alt.
|66| Am 15. Juni 1961 fand in Ost-Berlin eine internationalen Pressekonferenz statt. Eine westdeutsche Journalistin fragte den damaligen
Staatsratsvorsitzenden der DDR, Walter Ulbricht, ob man eine Staatsgrenze am Brandenburger Tor ziehen würde, um eine freie
Stadt Berlin bilden zu können. Das Wort «Mauer» benutzte sie nicht. Ulbricht antwortete daraufhin: «Ich verstehe Ihre Frage
so, dass es Menschen in Westdeutschland gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR mobilisieren,
um eine Mauer aufzurichten, ja? Äh, mir ist nicht bekannt, dass (eine) solche Absicht besteht, da sich die Bauarbeiter in
der Hauptstadt hauptsächlich mit Wohnungsbau beschäftigen und ihre Arbeitskraft voll eingesetzt wird. Niemand hat die Absicht,
eine Mauer zu errichten.»
Zwei Monate später, fast auf den Tag genau, stand die Mauer. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass so etwas möglich war. An
diesem 13. August hielt ich mich in Berlin auf, die Sonne schien, es war ein herrlicher Sonntag. Kurz zuvor war ich noch heimlich und
auf eigenes Risiko in den Westteil der Stadt gegangen, um mir dort in einem Kino
Ben Hur
anzusehen. Als ich morgens um acht Uhr im Radio vom Mauerbau hörte, stürzte ich sofort aus der Wohnung. Überall auf den Straßen
fuhren Autos, auf denen Lautsprecher montiert waren. Unentwegt verbreiteten diese die offizielle Version der Ereignisse: «Wir
haben einen antifaschistischen Schutzwall errichtet … zur Sicherung der Grenzen … gegen die Bonner Ultras.» Zwischen den einzelnen Parolen plärrte Militärmusik.
Der Mauerbau führte nicht gerade dazu, dass ich meinem Land gegenüber uneingeschränkte Loyalität
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