Meine zwei Halbzeiten
empfand. Meine Gefühle waren
zwiespältig: Einerseits machte ich mir schon so meine Gedanken, was für einen Staat ich da als Jugendauswahlspieler vertrat.
Andererseits empfand ich die Berufung und die Aussicht, eines Tages Nationalspieler zu werden, als große Auszeichnung. Ich
war stolz darauf. Und außerdem beruhigte ich mich damit, |67| dass Sport und Politik schließlich zwei verschiedene Paar Schuhe seien.
Je häufiger ich jedoch mit meiner Mannschaft in den Westen reiste – immer verbunden mit einer Menge von Instruktionen, wie
wir uns zu verhalten hatten –, umso merkwürdiger fand ich viele Dinge. Die Propaganda der Sportfunktionäre wie der Vorsitzenden der SED, dass das kapitalistische
System die Hölle sei, konnte ich nicht nachvollziehen. Mehrmals waren wir mit Horst Kühn im Westen unterwegs, dem Ersten Vorsitzenden
vom FC Lok Leipzig. Jedes Mal, wenn wir meinten, so schlecht seien die Häuser und Autos im Kapitalismus doch gar nicht, wurde
uns hektisch eingebläut: «Alles Attrappe! Alles Attrappe! Und nichts davon ist bezahlt.» Argumentierten wir, dass eine Menge
an Waren in den Schaufenstern zu sehen sei, hieß es: «Das liegt bloß in den Auslagen herum. Kaufen kann man das nicht.» Und
natürlich gab es in der DDR nicht einen einzigen Mangel.
Bei Trainingslagerbesprechungen vor einer West-Reise erzählten die Funktionäre stets mit leicht entrüsteter Stimme von den
«Revanchisten» und «Bonner Ultras». Folgte man ihren Parolen, dann lebten in der BRD nur Nazis; auch rüste man dort schon
wieder eine Armee auf und wolle einen Krieg anzetteln, unterstützt von den Amerikanern, die das Land besetzten. Wir dagegen
hätten die Sowjetsoldaten, die uns beschützen würden. Wenn man an diese schlichten Losungen glaubte, konnte einem die Rückkehr
in die Heimat wie eine Reise ins Paradies erscheinen. Im Grunde machte man es sich einfach: Die Guten lebten in der DDR, die
Bösen in der BRD.
Aber ich hatte – wie viele andere – Augen im Kopf. Man konnte mir nicht weismachen, dass ich etwas falsch gesehen hatte. Und
durften die meisten auch nicht ins westliche Ausland reisen, so konnten sie doch über das Fernsehen Vergleiche anstellen.
Schauten die Funktionäre einfach weg, wenn sie sagten, dass sie völlig vom Sozialismus überzeugt seien? Wollten sie sich blenden
lassen? |68| Dorthin getrieben werden, wo die SE D-Führung einen haben wollte?
Jedenfalls achtete man penibel darauf, dass die DDR niemals mit der BRD verwechselt wurde. Als auf einem Empfang anlässlich
eines Länderspiels in Aserbaidschan unsere Delegation als eine aus der Bundesrepublik angesprochen wurde, hätten die Funktionäre
fast den Saal verlassen. Vehement wurde der Fehler korrigiert. In Schweden wiederum, vor einem Spiel gegen eine Mannschaft
aus Norrköping, wurde zur Begrüßung die bundesdeutsche Flagge gehisst. Sofort holte ein Funktionär aus seinem Koffer die richtige
Fahne heraus. Vorsichtshalber hatte er sie für solche Missverständnisse stets dabei, ebenso eine Schallplatte mit unsere Nationalhymne
«Auferstanden aus Ruinen». Es war schon vorgekommen, dass das «Deutschlandlied» in unserem Beisein gespielt wurde.
Bei dieser Schweden-Reise kam ich furchtbar ins Schwitzen. Jeder der Spieler hatte eine Flasche Wodka im Gepäck, die älteren
und erfahrenen oftmals sogar zwei. Da der Alkohol in Schweden damals rationiert war, konnte man den Wodka zu einem äußerst
günstigen Wechselkurs verkaufen. Auf diese Weise «erwirtschaftete» man nebenbei Geld, um sich Jeans, Hemden, Schallplatten
oder Ähnliches zu kaufen. Volker Franke und ich besaßen unsere mitgebrachten Spirituosen noch – wir jüngeren Mitspieler waren
nicht so erfahren in diesem Tauschgeschäft. Also zogen wir los, um einen Abnehmer ausfindig zu machen. Auf einem größeren
Platz in der Innenstadt von Norrköping entdeckten wir schließlich einen Lotterieverkäufer, der aussah, als würde er gern einen
zu sich nehmen. Wir sprachen ihn an und zeigten ihm unsere beiden Flaschen. Sofort holte er fünfzig schwedische Kronen aus
seinem Portemonnaie, damals rund fünfzig Ost-Mark. Da wir pro Flasche zwölf Mark bezahlt hatten, bedeutete das für uns einen
sensationellen Wechselkurs von 1 : 2. Mit unserem neuerworbenen Geld suchten wir das nächste Kaufhaus auf, um uns etwas |69| Modisches zum Anziehen zu kaufen. Als wir auf dem Rückweg wieder an dem Platz vorbeikamen, sahen wir einen
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