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Meine zwei Halbzeiten

Titel: Meine zwei Halbzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Berger
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empfand. Meine Gefühle waren
     zwiespältig: Einerseits machte ich mir schon so meine Gedanken, was für einen Staat ich da als Jugendauswahlspieler vertrat.
     Andererseits empfand ich die Berufung und die Aussicht, eines Tages Nationalspieler zu werden, als große Auszeichnung. Ich
     war stolz darauf. Und außerdem beruhigte ich mich damit, |67| dass Sport und Politik schließlich zwei verschiedene Paar Schuhe seien.
    Je häufiger ich jedoch mit meiner Mannschaft in den Westen reiste – immer verbunden mit einer Menge von Instruktionen, wie
     wir uns zu verhalten hatten   –, umso merkwürdiger fand ich viele Dinge. Die Propaganda der Sportfunktionäre wie der Vorsitzenden der SED, dass das kapitalistische
     System die Hölle sei, konnte ich nicht nachvollziehen. Mehrmals waren wir mit Horst Kühn im Westen unterwegs, dem Ersten Vorsitzenden
     vom FC Lok Leipzig. Jedes Mal, wenn wir meinten, so schlecht seien die Häuser und Autos im Kapitalismus doch gar nicht, wurde
     uns hektisch eingebläut: «Alles Attrappe! Alles Attrappe! Und nichts davon ist bezahlt.» Argumentierten wir, dass eine Menge
     an Waren in den Schaufenstern zu sehen sei, hieß es: «Das liegt bloß in den Auslagen herum. Kaufen kann man das nicht.» Und
     natürlich gab es in der DDR nicht einen einzigen Mangel.
    Bei Trainingslagerbesprechungen vor einer West-Reise erzählten die Funktionäre stets mit leicht entrüsteter Stimme von den
     «Revanchisten» und «Bonner Ultras». Folgte man ihren Parolen, dann lebten in der BRD nur Nazis; auch rüste man dort schon
     wieder eine Armee auf und wolle einen Krieg anzetteln, unterstützt von den Amerikanern, die das Land besetzten. Wir dagegen
     hätten die Sowjetsoldaten, die uns beschützen würden. Wenn man an diese schlichten Losungen glaubte, konnte einem die Rückkehr
     in die Heimat wie eine Reise ins Paradies erscheinen. Im Grunde machte man es sich einfach: Die Guten lebten in der DDR, die
     Bösen in der BRD.
    Aber ich hatte – wie viele andere – Augen im Kopf. Man konnte mir nicht weismachen, dass ich etwas falsch gesehen hatte. Und
     durften die meisten auch nicht ins westliche Ausland reisen, so konnten sie doch über das Fernsehen Vergleiche anstellen.
     Schauten die Funktionäre einfach weg, wenn sie sagten, dass sie völlig vom Sozialismus überzeugt seien? Wollten sie sich blenden
     lassen? |68| Dorthin getrieben werden, wo die SE D-Führung einen haben wollte?
    Jedenfalls achtete man penibel darauf, dass die DDR niemals mit der BRD verwechselt wurde. Als auf einem Empfang anlässlich
     eines Länderspiels in Aserbaidschan unsere Delegation als eine aus der Bundesrepublik angesprochen wurde, hätten die Funktionäre
     fast den Saal verlassen. Vehement wurde der Fehler korrigiert. In Schweden wiederum, vor einem Spiel gegen eine Mannschaft
     aus Norrköping, wurde zur Begrüßung die bundesdeutsche Flagge gehisst. Sofort holte ein Funktionär aus seinem Koffer die richtige
     Fahne heraus. Vorsichtshalber hatte er sie für solche Missverständnisse stets dabei, ebenso eine Schallplatte mit unsere Nationalhymne
     «Auferstanden aus Ruinen». Es war schon vorgekommen, dass das «Deutschlandlied» in unserem Beisein gespielt wurde.
    Bei dieser Schweden-Reise kam ich furchtbar ins Schwitzen. Jeder der Spieler hatte eine Flasche Wodka im Gepäck, die älteren
     und erfahrenen oftmals sogar zwei. Da der Alkohol in Schweden damals rationiert war, konnte man den Wodka zu einem äußerst
     günstigen Wechselkurs verkaufen. Auf diese Weise «erwirtschaftete» man nebenbei Geld, um sich Jeans, Hemden, Schallplatten
     oder Ähnliches zu kaufen. Volker Franke und ich besaßen unsere mitgebrachten Spirituosen noch – wir jüngeren Mitspieler waren
     nicht so erfahren in diesem Tauschgeschäft. Also zogen wir los, um einen Abnehmer ausfindig zu machen. Auf einem größeren
     Platz in der Innenstadt von Norrköping entdeckten wir schließlich einen Lotterieverkäufer, der aussah, als würde er gern einen
     zu sich nehmen. Wir sprachen ihn an und zeigten ihm unsere beiden Flaschen. Sofort holte er fünfzig schwedische Kronen aus
     seinem Portemonnaie, damals rund fünfzig Ost-Mark. Da wir pro Flasche zwölf Mark bezahlt hatten, bedeutete das für uns einen
     sensationellen Wechselkurs von 1   :   2.   Mit unserem neuerworbenen Geld suchten wir das nächste Kaufhaus auf, um uns etwas |69| Modisches zum Anziehen zu kaufen. Als wir auf dem Rückweg wieder an dem Platz vorbeikamen, sahen wir einen

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