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Meine zwei Halbzeiten

Titel: Meine zwei Halbzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Berger
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überholen
     würden.
    Noch etwas anderes wurde mir über den Sozialismus bei uns klar: Da der Fußball in der Bevölkerung sehr beliebt war, kümmerte
     sich nicht nur die Regierungsspitze um diesen Sport – der Ost-Berliner Verein BFC Dynamo war beispielsweise Mielkes Lieblingsverein.
     In jedem Bezirk gab es zudem einen Ersten Sekretär der Parteileitung, der sich anmaßte, den Leistungssport politisch zu begleiten.
     Zu uns Spielern vom SC Leipzig sagte einer dieser Provinzfürsten vor einer Begegnung: «Wenn ihr nicht gegen Magdeburg gewinnt,
     dann wird sich das negativ auf die Arbeitsproduktivität der Werktätigen in Leipzig auswirken.» Konsequent zu Ende gedacht,
     bedeutete dies: Feierten wir am Samstag einen Sieg, würden zwar die Leipziger Arbeiter am Montag voll motiviert an ihre Arbeitsstätten
     gehen. Aber was war mit den Magdeburger Werktätigen, die auch zur DDR gehörten? Würden die nur Trübsal blasen? Welch ein Unsinn!
     Nichts als hohle Schlagworte.
    Natürlich wurden die Fußballvereine gesponsert, was aber ebenso wenig bekannt war wie die Geldkuverts für uns Spieler. Die
     Reichsbahn zweigte beispielsweise einiges von ihren Einnahmen ab, um unser Trainingslager in Schweden zu finanzieren. Vielfach
     kam das Geld für den Fußball jedoch aus dem jeweiligen Bezirk, so hatten viele Vereine sogenannte Patenbetriebe in der Wirtschaft.
     Der FSV Zwickau wurde vom VEB Sachsenring (Kraftfahrzeug- und Motorenwerk) gefördert, Wismut Aue von der Sowjetisch-Deutschen
     Aktiengesellschaft Wismut (Bergbau), Dynamo Dresden und der BFC Dynamo von der Polizei, Hansa Rostock von den Werften und
     der FC Carl Zeiss Jena von den Carl-Zeiss-Werken.
    Trotz der finanziellen Unterstützung durch die Wirtschaft und andere wichtige Institutionen war die politische Macht der Bezirksobersten |76| so immens, dass sie immer wieder in den Sport eingreifen konnten. Es war nicht nur einmal vorgekommen, dass ein solcher Bezirksfürst
     eigenmächtig Entscheidungen traf. Bei einem Spiel von Hansa Rostock gegen den FC Carl Zeiss Jena etwa stürmte der Erste Sekretär
     der Bezirksleitung Rostock, Harry Tisch, der später Chef des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes der DDR war und zu den Mitgliedern
     des Politbüros des Zentralkomitees (ZK) der SED zählte, nach zwanzig Minuten zur Trainerbank   – Hansa Rostock hatte gerade sein zweites Gegentor kassiert. Stark alkoholisiert und in Begleitung eines Leibwächters, verlangte
     er vom Rostock-Coach Heinz Werner die sofortige Auswechslung des Torhüters und eines Feldspielers. Werner antwortete: «Mach
     ich nicht.» Tisch wiederholte seine Forderung, der Trainer weigerte sich abermals, dem Befehl Folge zu leisten. Daraufhin
     Tisch voller Wut: «Du bist entlassen!» Die offizielle Entlassung erfolgte zwei Wochen später, der Vorfall ging hoch bis zum
     ZK. Das war eine der kuriosesten Trainerentlassungen in der Oberliga, Heinz Werner durfte danach lange keinen bedeutenden
     Verein mehr trainieren.
    Die größte Machtbefugnis im Fußball und anderen Disziplinen oblag Manfred Ewald, dem wichtigsten Sportfunktionär der DDR.
     Er war von 1961 bis 1988   Präsident des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB), führte von 1973 bis 1990 das Nationale Olympische Komitee der DDR an
     und galt als Medaillenschmied. Später erfuhr ich, dass er als Jugendlicher auf einer N S-Eliteschule gewesen war. Nach Ende des Krieges trat er 1945 zunächst der KPD bei, ein Jahr später wurde er Mitglied der SED und der Jugendorganisation
     FDJ. 1952 ernannte ihn Walter Ulbricht zum Vorsitzenden des neugegründeten Staatlichen Komitees für Körperkultur und Sport.
     Er war derjenige, der sämtliche Fäden des Sports in der Hand hatte, eine vergleichbare Machtposition gab es im Westen nicht.
     Auch das Doping hatte Ewald mitzuverantworten, obwohl er nach der Wende abstritt, etwas davon gewusst zu haben – wie fast
     alle Spitzenfunktionäre |77| im DD R-Sport . Dennoch wurde er vor Gericht zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
    Der Sport war entscheidendes Aushängeschild des Sozialismus und Beweis für seine Kraft. Die DDR brachte mit ihren rund siebzehn
     Millionen Einwohnern beim Medaillenspiegel der Olympischen Spiele die Vereinigten Staaten und sogar die Sowjetunion in Bedrängnis,
     die Bundesrepublik sowieso. Leider konnte man bei olympischen Wettkämpfen im Fußball nur eine einzige Medaille holen, ganz
     anders als beim Rudern, Schwimmen, Turnen, Eiskunstlauf oder der Leichtathletik

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