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Meine zwei Halbzeiten

Titel: Meine zwei Halbzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Berger
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Fußballer würde? Konnte er nicht bei einem Vater, der in demselben
     Bereich tätig war und Republikflucht begangen hatte, große Schwierigkeiten bekommen, nicht mehr weiter gefördert werden? Wieso
     dachte ich erst jetzt ernsthaft daran? Die Antwort lag auf der Hand: Ich konnte gut verdrängen. Bei meiner Entscheidung zur
     Flucht ging es mir hauptsächlich darum, dass ich es mit meinen vierunddreißig Jahren |152| leid war, mich vom Kollektiv delegieren zu lassen. Ich wollte mich individuell entwickeln, mich mit eigenen Entscheidungen
     profilieren – wie gesagt, ich war auch ein großer Egoist.
    Als der Zug am frühen Nachmittag in den Münchner Hauptbahnhof einlief, hatte ich das Gefühl, nicht mehr länger in einem Bahnabteil
     sitzen bleiben zu können. Ich stieg aus, wollte ein wenig von der Stadt sehen, in der die Olympischen Spiele 1972 stattgefunden
     hatten.
    Auf dem Bahnsteig schaute ich mich ständig um. Noch hatte ich nicht wirklich realisiert, im Westen zu sein, die Vergangenheit
     saß mir weiterhin im Nacken. Ich ging um das Bahnhofsgelände herum und betrat einige Seitenstraßen, damit ich ein wenig das
     Gefühl bekam, dass ich tatsächlich in München war. Schließlich kehrte ich zurück, um mich bei einem Informationsschalter nach
     einer Verbindung Richtung Weilheim zu erkundigen. Ich wusste, dass der Ort in der Nähe des Starnberger Sees lag. «Gerd Penzel,
     Weilheim, Wettersteinstraße 1», dieser Name und diese Adresse in meinem Ersatzpass hatten mir Glück gebracht – und auf einmal
     stand für mich außer Frage, dass ich diesen Freund meiner Eltern aufsuchen musste. Eigentlich hätte ich mich bei meiner Ankunft
     in der Bundesrepublik bei der Polizei melden sollen, so hatte man es mir in Belgrad nahegelegt. Aber das konnte ich immer
     noch erledigen.
    Während der Fahrt kam zum Glück kein Schaffner, der die Fahrkarten kontrollierte – aufgrund meiner Finanzlage hatte ich mich
     fürs Schwarzfahren entschieden. Nach einer knappen Stunde war ich in dem oberbayerischen Städtchen angelangt. Ich fragte mehrere
     Passanten nach der Wettersteinstraße, schließlich stand ich vor der Hausnummer 1.   Mit klopfendem Herzen klingelte ich, es war inzwischen gegen fünf Uhr nachmittags.
    Nach einer Weile wurde die Tür einen Spaltbreit von einer älteren Frau geöffnet, ich hatte den Eindruck, dass es die Haushälterin
     war. Als ich mich als Sohn von Gertrud und Franz Berger vorstellte |153| und sagte, dass ich zu den Penzels wolle, erwiderte sie, dass diese erst später von der Arbeit zurückkommen würden. Im Haus
     wollte sie mich nicht warten lassen, da ich mich nicht ausweisen konnte. Mein Behelfspass half mir nicht weiter, schließlich
     lautete er auf den Namen eines Hausbewohners. Was tun? Ich wollte nicht sofort zurück nach München fahren, zu groß war mein
     Bedürfnis, mit jemandem zu reden, der meine Familie in Leipzig kannte.
    Auf der anderen Straßenseite entdeckte ich eine kleine Gastwirtschaft. Ich kramte mein letztes Geld aus der Hosentasche, es
     waren noch sieben, acht Mark. Das konnte für ein Bier und eine Suppe reichen. Seit den Sandwichs am Morgen hatte ich nichts
     mehr gegessen. Bevor das Essen kam, rief ich beim Deutschen Fußball-Bund an, die Telefonnummer hatte ich in der Botschaft
     erhalten. Der Wirt war so freundlich und ließ mich sein Telefon unentgeltlich benutzen, nachdem ich ihm erklärt hatte, worum
     es ging. Ich wurde von der Zentrale mit Hans Paßlack verbunden, dem Generalsekretär des DFB. Er hörte sich an, was ich ihm
     erzählte, anschließend bat er mich, am Dienstag in Frankfurt vorbeizukommen. Da gäbe es eine Möglichkeit, mit Hermann Neuberger,
     dem Präsidenten, zu reden, jetzt sei er nicht da. Danach war das Gespräch schnell beendet.
    Nachdem ich mich gestärkt und die Wärme der Gaststube genossen hatte, läutete ich gegen sieben Uhr ein weiteres Mal bei den
     Penzels. Eine Nachbarin, die mich wohl beobachtet hatte, öffnete ihr Fenster und fragte mich, was ich denn von ihnen wolle.
     Einen Besuch abstatten, antwortete ich, ich käme nämlich aus dem Osten. Daraufhin sagte die Frau, dass sie hinunterkommen
     würde, um Gustl, die Haushälterin, davon zu überzeugen, mich ins Haus zu lassen.
    Das gute Zureden half tatsächlich. So führte mich die Haushälterin mit leicht misstrauischem Blick ins erste Stockwerk, wo
     sich das Wohnzimmer befand. Danach stieg sie wieder hinunter ins Erdgeschoss, schaute aber alle fünf Minuten nach mir,

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