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Meine zwei Halbzeiten

Titel: Meine zwei Halbzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Berger
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genau,
     was du tust. Und pass auf dich auf», raunte sie mir ins Ohr.
    Auch mir standen Tränen in den Augen, als wir uns wieder im Wohnzimmer befanden.
    «Was hat denn der Jörg?», fragte mein Vater.
    «Der Junge hat Probleme mit seiner Freundin.» Ob diese Ausrede ihn bei meinen vielen Frauen wirklich überzeugte?
    Nachdem ich beide umarmt hatte, verließ ich die Wohnung. Meine Eltern standen am Fenster und winkten mir zu. Peter hatte ihren
     Mann dafür regelrecht aus seinem Sessel zerren müssen, wie sie mir später erzählte. Er verstand nicht, wieso diese aufwendige
     Verabschiedung nötig sei, sein Sohn würde doch nächste Woche wiederkommen.
    Am frühen Nachmittag holte ich Ron von meiner Ex-Frau ab, um mit ihm ein Fußballspiel im Bruno-Plache-Stadion anzusehen –
     auch ein eher unauffälliges Verhalten. Harriet hatte nicht aus unserer Dreiraumwohnung ausziehen müssen. Zum Stadion, das
     ja nicht weit von der Wohnung entfernt lag, gingen mein Sohn und ich zu Fuß. An diesem Tag sollte eine Begegnung zwischen
     dem Ost-Berliner Fußballclub BFC Dynamo und Lok Leipzig stattfinden. Ich hatte Ron schon häufig zu Spielen mitgenommen, der
     Achtjährige kickte selbst begeistert in der Kindermannschaft von Lok Leipzig. Er galt als ein großes Talent.
    |141| Unterwegs trafen wir einige Leute aus meiner ehemaligen Nachbarschaft, die mich alle nach Eigendorf und seiner Flucht fragten.
     Geübt darin, kurze und ausweichende Antworten zu geben, blieb es mir erspart, in längere Diskussionen verstrickt zu werden.
     Nicht selten bekam ich zu hören: «Das hätte ich dem Lutz, dem Verräter, nie zugetraut.» Ironie des Schicksals – als ich mich
     nach meiner eigenen Flucht daran erinnerte, fiel es mir nicht schwer, mir vorzustellen, wie über mich gedacht wurde.
    Als Auswahltrainer hatte ich das Privileg, dem Spiel mit Ron von der hölzernen Ehrentribüne aus zuschauen zu können. Ich begrüßte
     meinen Nachbarn Rudolf Röhrer, der dort ebenfalls saß, außerdem den Clubvorsitzenden von Lok Leipzig, Peter Gießner, den Ersten
     Sekretär der Bezirksleitung, Helmut Hackenberg, sowie andere führende Sportfunktionäre aus Leipzig und Berlin. Die DDR im
     Kleinformat, dachte ich.
    Kurz vor Spielbeginn gab der Stadionsprecher die Mannschaftsaufstellung durch, zuerst die der Gäste, von der Nummer eins bis
     zur Nummer elf. Als alle Spieler genannt waren, brüllte auf einmal die Fan-Kurve von Lok Leipzig: «Wo bleibt denn der Eigendorf?»
    Der Chor war nicht zu überhören, die Blicke, die zwischen den Genossen ausgetauscht wurden, nicht zu übersehen. Ihren Gesichtern
     konnte man ablesen, dass es ihnen nicht passte, überhaupt nichts unternehmen zu können. Denn die Frage wurde nicht von einzelnen
     Zuschauern skandiert, die man hätte herausgreifen können, nein, die ganzen Fans von Lok Leipzig hatten eingestimmt. Und nach
     einer Weile gingen sie noch weiter: «Willst du in den Westen türmen, musst du für Dynamo stürmen», erklang aus Tausenden von
     Kehlen. Eine unglaubliche Spannung war im Stadion zu spüren. In diesem Moment wurde mir erst wirklich bewusst, was Eigendorfs
     Flucht ausgelöst hatte. Sie beschäftigte nicht nur die Funktionäre, die gesamte Bevölkerung diskutierte darüber. Und das konnte
     den Obersten gar nicht passen.
    |142| Nach dem Spiel – an das Ergebnis kann ich mich nicht mehr erinnern, zu sehr war ich mit anderen Gedanken beschäftigt – brachte
     ich meinen Sohn zurück zu Harriet. Er hatte alles mit großen Augen verfolgt, mich aber nicht gefragt, was der Chor der Fans
     bedeutete. Ich war froh darüber, denn im Beisein der Genossen hätte ich mich mit einer Erklärung schwergetan.
    «Ich finde es toll, dass du wieder in den Westen darfst», sagte meine Ex-Frau, als ich die Wohnung verlassen wollte. Gerade
     hatte ich Ron fest an mich gedrückt, nicht wissend, wann ich es das nächste Mal tun konnte. Doch würde er sich dann überhaupt
     von mir umarmen lassen? Von dem Vater, der ihn verlassen hatte? Bei der Vorstellung, er könnte mich zurückweisen, bekam ich
     fast keine Luft. Immerhin war ich mir sicher, dass er nicht in ein Kinderheim kommen würde, wie dies öfter geschah, wenn die
     Mütter über die Fluchtpläne der Väter informiert gewesen oder gar selbst geflohen waren.
    «Ja», antwortete ich mit einem Kloß im Hals. «Hab auch lange darauf gewartet.»
    Draußen auf der Straße atmete ich erleichtert auf und stieg in meinen Trabi. Ich sah zu meiner ehemaligen Wohnung

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