Meine zwei Halbzeiten
müssen, erklärte ich, wie
meine Ausbildung abgelaufen sei, wie ich angefangen hätte, im Jugendbereich zu trainieren.
Mitten in meinen Ausführungen unterbrach mich Neuberger: «Gehen Sie erst mal nach Gießen. Wir rufen dort an und sagen, dass
Sie heute Abend im Aufnahmelager eintreffen werden. Der erste Schritt ist Gießen, dann sehen wir weiter.»
Wieso hatte Neuberger kein Interesse daran, zu erfahren, wie der Fußball im Osten funktionierte, wie der DD R-Fußball -Verband strukturiert war? Aus Überheblichkeit?
«Das ist nett von Ihnen», erwiderte ich, mehr konnte ich nicht sagen.
«Dann haben wir das schon mal geklärt. Und passen Sie auf, was Sie den Journalisten sagen. Später werden wir eine Presseerklärung
abgeben, darin wird es heißen, dass Sie im Westen sind |160| und sich bei uns gemeldet haben. Am besten, Sie halten sich bedeckt. In Gießen könnten sich schnell einige Medienleute einfinden.
Wenn man im Vorfeld zu viel preisgibt, hat man hinterher meist Probleme.»
Was damit gemeint war, verstand ich nicht. Noch kannte ich den Umgang mit westdeutschen Journalisten nicht. Ich wusste nur,
dass die Unterredung damit beendet war. Nach wie vor hatte ich den Eindruck, dass ich dem DFB ungelegen kam, Schwierigkeiten
bereitete. Was hatte meine Mutter einmal zu mir gesagt: «Du glaubst doch nicht, die im Westen warten auf dich.» Es schien
zu stimmen.
Gießen war ein Albtraum. Seit dem Moment, wo mich ein Mitarbeiter des DFB vor dem Aufnahmelager absetzte, fühlte ich einen
entsetzlichen Druck auf der Brust. All die vielen Menschen machten mir Angst, und ich war froh, dass ich in keinem Gemeinschaftsraum
übernachten musste, sondern ein Einzelzimmer zugewiesen bekam – vielleicht aufgrund der Brisanz meiner Flucht.
Viel passierte in den nächsten Stunden nicht mehr. Der Pförtner ließ mich noch wissen, dass sich schon einige Journalisten
gemeldet hätten, sie würden mich morgen vor dem Aufnahmelager erwarten, da sie es nicht betreten dürften. Außerdem nahm man
meine Personalien auf, gab mir ein Übergangsgeld und stellte mir einen Behelfspass auf meinen eigenen Namen aus. Ich war verwirrt
von den ganzen Bestimmungen und Regelungen, die man mir mitteilte.
Abends berichtete die
tagesschau
von meiner Flucht, darüber hatte mich der DFB vorab noch informiert. Nach dieser Meldung war es vorbei mit meiner äußerlich
vorgegebenen Ruhe: Nun hatte die Stasi Gewissheit, dass ich in der BRD war. Sobald mich jemand ansprach, zuckte ich zusammen.
Trotz der kleinen Auszeit in Weilheim – die vergangenen Tage hatten deutlich an meinen Nerven gezehrt.
Am nächsten Morgen hatten sich vor der Loge des Pförtners |161| tatsächlich einige Journalisten versammelt. Selbst wenn ich gewollt hätte, ich durfte keine näheren Angaben zu meiner Flucht
machen. Schließlich hatte ich der deutschen Botschaft in Belgrad mein Wort gegeben, nichts über den konkreten Ablauf meiner
«Ausreise» zu verraten. Man wollte niemanden zur Nachahmung ermuntern. Gut vier Jahre später, am 3. November 1983, passierte es allerdings doch: Die beiden BF C-Dynamo -Spieler Falko Götz und Dirk Schlegel setzten sich – ähnlich wie ich – vor einem Europapokalspiel gegen Partizan Belgrad über
die bundesdeutsche Botschaft in Jugoslawien ab.
Eine Reporterin bot mir 20 000 Mark als Vorschuss an, wenn ich meine «Story» exklusiv ihrer Zeitung erzählen würde, weitere 50 000 Mark für eine zweite: «Ein Jahr danach.» Das waren unglaublich hohe Summen, zumal ich bis auf das Übergangsgeld nichts besaß
und auch niemanden um einen Kredit bitten konnte. Dennoch schüttelte ich den Kopf, sagte, dass ich keine Details berichten
könne. Damit wollte ich auch etwas anderes unbedingt sicherstellen: Ron durfte nicht in diese Sache hineingezogen werden.
Mit größter Sicherheit hätte mich die Journalistin gefragt, ob ich Vater eines Kindes wäre. Nein, meine Familie musste ich
schützen. Mein Sohn und meine Eltern würden durch meine Flucht genug Schwierigkeiten bekommen, mit sensationell aufgemachten
Geschichten bestand die Gefahr, dass man ihnen noch größere Probleme bereitete.
Nach dem Rummel mit den Journalisten stand eine Befragung durch den Bundesnachrichtendienst an, am nächsten Tag sollte ich
dem amerikanischen Geheimdienst Auskunft geben.
Die BN D-Leute stellten sich zunächst vor, dann überschütteten sie mich mit Fragen, bei denen es hauptsächlich darum ging, ob ich
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