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Meine zwei Halbzeiten

Titel: Meine zwei Halbzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Berger
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worden war, stand ich jeden Morgen früh auf, um konsequent bestimmte Übungen zu machen. Sosehr ich unter den Schmerzen litt,
     ich durfte mich durch sie nicht von meinem selbstverordneten Training abhalten lassen. Von Tag zu Tag ging ich ein paar Schritte
     mehr. Schnelles Laufen war noch nicht drin, aber immerhin vermochte mich ich wie ein normaler Mensch fortzubewegen. |217| Zwar blieb das Ganze mysteriös, aber es sollte keine Macht über mein Leben haben. Nachträglich gesehen machte ich der Stasi
     damit einen Strich durch die Rechnung.
    Trotz aller widrigen Umstände hatte ich den Mut, Vertragsgespräche zu führen – und am Ende wurde ich vom SC Freiburg eingestellt.
     Achim Stocker, der Präsident des Zweitligisten und im Hauptberuf Leiter der Freiburger Finanzdirektion, hatte seine eigene
     Begründung, warum er mich holte: «Glauben Sie ja nicht, dass wir Sie verpflichtet haben, weil Sie ein guter Trainer sind.
     Es war so: Als ich Ihre Frau gesehen habe, da sagte ich: ‹Der wird’s.› Ich gebe zu, ich stehe auf attraktive Rothaarige.»
     Dies erzählte er jedenfalls in einer lustigen Runde bei einem gemeinsamen Essen. Es stellte sich heraus, dass er in jeder
     Hinsicht ehrlich war und sich mir gegenüber stets unglaublich korrekt verhielt.
    Ganz so ehrlich war ich bei den Verhandlungen nicht. Ich verschwieg, dass es mir zu dieser Zeit körperlich nicht so gut ging.
     Bis ich dort als Coach anfangen sollte, hatte ich noch einige Wochen Vorlauf. Und ich war felsenfest davon überzeugt, dass
     ich es bis dahin schaffen würde, wieder vollkommen fit zu werden. Und so war es auch.
    Als ich schon längst nicht mehr an meine «Nervenentzündung» dachte, bekam ich einen Rückfall. Er war nicht so heftig wie der
     erste Ausbruch, aber ich war erneut stark in meiner Beweglichkeit eingeschränkt. Die Freiburger Mediziner konnten keine andere
     Diagnose stellen als die Kasseler Ärzte, meinten noch, es könnte eine unbekannte Virusinfektion sein. Trotzdem ließ mich fortan
     das diffuse Gefühl nicht mehr los, dass hinter dieser Krankheit vielleicht doch etwas anderes steckte als eine körperliche
     oder seelische Ursache. Nach der Wende forderte man mich auf, meine Krankenakten aus Kassel und Freiburg an Professor Dr.   Wolfgang Eisenmenger zu schicken, tätig am Institut für Rechtsmedizin der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Er kam
     zu dem Ergebnis, dass es sich aufgrund der darin beschriebenen |218| Symptome sehr wahrscheinlich nicht um eine Viruserkrankung, sondern um eine Vergiftung gehandelt habe. Er konkretisierte dies
     auch noch in Hinsicht auf eine Schwermetallvergiftung aus der Gruppe der Blei- und Arsenverbindungen.
    Die Stasiakten geben darüber keine klaren Auskünfte. Es gibt nur eine neunhundertseitige Studie der DDR, die den Titel
Toxdat
trägt. Sie kann als eine Anleitung zum perfekten Mord gelesen werden. In ihr geht es beispielsweise darum, wie man Verkehrsunfälle
     oder Giftmorde verschleiern kann. Das Einzige, was aus den Akten selber hervorgeht, ist, dass in der Kasseler Zeit ein «aggressives
     Verhalten gegenüber dem Feindbild Berger» angesagt war. In meiner Lesart: Es ging ihnen bei mir nicht gerade um Mord, sondern
     darum, mich beruflich außer Gefecht zu setzen. Nicht umsonst hatte man mir wohl ein Gift gegeben, das Lähmungserscheinungen
     auslöst. Dennoch: In zu hoher Dosierung hätte es meine Gliedmaßen absterben lassen, aber auch zum Tode führen können. Dann
     wäre es doch ein Auftragsmord gewesen. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat mir jemand das Mittel in ein Getränk oder ins Essen
     getan, jemand aus meinem näheren Umfeld, dem es auch möglich war, dies in bestimmten Abständen zu tun. Ich kann von Glück
     sagen, dass ich nicht Lutz Eigendorfs Schicksal teilte.

|219| 16
Statt einen Vater einen Hauptgewinn: drei Tage mit einem Bundesligatrainer
    |220| Alles drehte sich in meinem Kopf. Ich stand in einem Clubraum des Fritz-Walter-Stadions auf dem Betzenberg und starrte auf
     den Bildschirm eines Fernsehgeräts. Mit Wolfgang Tobien und Rainer Franzke vom
kicker
– den beiden hatte ich das erste Interview nach meiner Flucht in die Bundesrepublik gegeben – war ich am 9.   November 1989 zu einer Spielbeobachtung nach Kaiserslautern gefahren: Der 1.   FC Kaiserslautern spielte gegen den 1.   FC Köln. Die Begegnung war für 20   Uhr angesetzt, es sollte das erste und einzige Spiel sein, von dem ich keine einzige Minute mitbekam.
    Vor einer halben

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