Meine zwei Halbzeiten
von Vereinen, über die Mielke wachte.
Im Laufe des Mittwochs rief mich ein Journalist von dpa an, der Deutschen Presse-Agentur: «Haben Sie schon gehört, zwei DD R-Fußballspieler sind geflüchtet? Können Sie etwas dazu sagen?»
«Wer ist geflüchtet?», fragte ich.
|210| «Falko Götz und Dirk Schlegel. Haben die sich schon bei Ihnen gemeldet?»
Ich zuckte leicht zusammen. Beide Spieler hatte ich in der Auswahl als junge Talente mit sechzehn, siebzehn Jahren gefördert.
Nach dieser Vorgeschichte konnte ich mir vorstellen, dass ich persönlich im Verdacht stand, ihnen geholfen zu haben. Immerhin
waren sie wie ich vor einem Länderspiel getürmt, hatten sich – was ich da aber noch nicht wusste – bei der Deutschen Botschaft
in Belgrad gemeldet.
«Ist den beiden die Flucht geglückt?» Das war erst einmal meine größte Sorge.
«Ja.»
Am selben Tag bekam ich einen weiteren Anruf. Falko Götz war am Apparat und erzählte, dass Dirk und er sich im Aufnahmelager
in Gießen aufhielten. Vor meinem inneren Auge liefen all die Bilder meiner eigenen Flucht ab, Bilder, die derart intensiv
in den letzten Jahren nicht mehr aufgetaucht waren. Und mit diesem Telefonat war natürlich auch klar, dass ich für die Stasi
immer stärker in die Rolle des Fluchthelfers geriet. Aber diese Gedanken behielt ich für mich, ich wollte Falko und Dirk nicht
belasten. Stattdessen sagte ich: «Ich komme sofort nach Gießen.» Ich war froh, Rehhagels Einladung nach Bremen nicht gefolgt
zu sein.
Es war abends, als Chris und ich in Gießen eintrafen. Zusammen mit den beiden gingen wir in ein italienisches Restaurant,
das ich kannte. Auf dem Weg dorthin überquerten wir eine Brücke, dabei fiel mir auf, dass uns zwei, drei Männer folgten. Schatten
des BND oder der Stasi? Kurz nachdem wir in dem Lokal Platz genommen hatten, setzten sich an einen Nachbartisch zwei Männer,
und zwar so, dass sie jedes Wort zwischen uns verstehen konnten.
«Lasst uns das Restaurant wechseln», sagte ich nach einer Weile. Es war offensichtlich, dass wir beobachtet wurden, wenn |211| ich auch das Gefühl hatte, dass diese Männer nicht identisch waren mit denen von der Brücke.
«Wieso?», fragte Chris. «Es ist doch nett hier.»
Auch Falko wunderte sich: «Warum bleiben wir nicht hier?»
Ich gab irgendetwas Fadenscheiniges zur Antwort, weil ich sie nicht beunruhigen wollte. Unterwegs zum nächsten Lokal, hielt
ich Falko ein wenig zurück, erklärte ihm, was es mit den Männern auf sich hatte und dass es schwierig wäre, herauszufinden,
ob die Observierung vom Bundesnachrichtendienst oder vom Spionagedienst der DDR ausging.
Auch in dem zweiten Restaurant konnten wir nicht ungestört essen, die Schatten waren wieder da. Als wir Dirk und Falko zurück
zum Aufnahmelager brachten, sagte ich, dass sie am übernächsten Tag, nach Beendigung der Verhöre, in den Zug steigen und nach
Kassel fahren sollten. Eine Sekretärin von Hessen Kassel würde sie vom Bahnhof abholen und zu mir nach Hause bringen. Ich
wollte nicht, dass Chris es tat, mir war das nicht ganz geheuer; ich selbst hatte Training.
Als ich am Freitagabend in unser Reihenhaus zurückkehrte, waren Falko und Dirk schon da. Ich schloss die Haustür zweimal ab
und zog im Wohnzimmer das Rollo herunter, sodass niemand von der Gartenseite aus durch das große Fenster hineinschauen konnte.
Draußen hatte ich ein Auto mit abgedunkelten Lichtern beobachtet, das mir verdächtig vorgekommen war. Chris schaute mich verwundert
an. Nie zuvor hatte ich uns so verbarrikadiert. Sie fragte aber nicht weiter nach, ahnte wohl, was das bedeutete. Hoffentlich
werden wir vom BND beschützt, dachte ich damals. In meiner Stasiakte sollte ich eine Skizze finden, auf der die Lage unseres
Hauses, das geparkte Auto und jede einzelne Straßenlaterne aufgezeichnet waren.
Falko und Dirk, zwei gelernte Elektromechaniker, waren zum Glück völlig unbekümmert. Ohne Hemmungen stellten sie unsere Wohnung
auf den Kopf, nahmen die Fernbedienung und die Dimmer |212| auseinander, sowie überhaupt alle technischen Dinge, die für sie fremd und interessant waren. Nachher funktionierte allerdings
das ein oder andere nicht mehr.
Die beiden Fußballer, zwei Riesentalente, standen einem Bundesligaverein nach der einjährigen Sperrfrist ablösefrei zur Verfügung.
Ich überlegte, dass sie in diesem Jahr eine finanzielle Absicherung brauchten, zugleich müsste es jemanden geben, der sie
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