Meine zwei Halbzeiten
förderte wie auch schützte. Bayer fiel mir ein, weil der Konzern zugleich Arbeitsplätze bot und den Bundesliga-Club
Bayer 04 Leverkusen unterstützte. Dort saß damals Rainer Calmund im Vorstand, den ich kannte.
Sofort rief ich ihn an: «Bei mir sind Falko Götz und Dirk Schlegel, zwei Spieler, die für dich interessant sein könnten.»
Wie erwartet kam Calli, der sich in solchen Situationen stets selbst bemühte, schon am nächsten Abend mit Vereinsmanager Hubert
Schieth nach Kassel. Schnell war klar, dass Bayer Leverkusen wie von mir erhofft helfen würde. Sollte ich der DDR jetzt nicht
nur als Fluchthelfer, sondern auch als Vermittler gelten, der womöglich eine hohe Summe für die Spieler kassierte – ich konnte
es nicht ändern. Jürgen Pahl, Norbert Nachtweih und Jo Kröschner hatten sich uneigennützig für mich eingesetzt, jetzt wollte
ich das auch für Falko und Dirk tun. Selbstverständlich kam auch Rainer Calmund in den Ruf eines Abwerbers – was er ebenso
wenig war.
Zum Abschied meinte ich zu ihm: «Pass gut auf die beiden Spieler auf. Die kommen von einem Stasi-Verein, einem Vorzeige-Club.
Und du kannst sicher sein, dass das MfS hinter denen her ist, hundertprozentig.»
«Höre uff», sagte Rainer Calmund, der bei immer noch heruntergezogenen Rollos auf unserer Couch saß und augenblicklich zu
schwitzen anfing. «Kann denn da etwas passieren?»
«Darauf kann ich dir keine Antwort geben.» Auf Hubert Schieths Stirn zeigten sich langsam ebenfalls kleine Schweißperlen.
|213| Eine Stunde später, als Calmund und Schieth mit den Spielern auf dem Weg nach Leverkusen waren, rief Calli von einer Autobahntankstelle
aus bei uns zu Hause an. Ob es denn sein könne, fragte er, dass ihnen jemand folgen würde, er hätte so ein Gefühl. «Calli»,
sagte ich, «jetzt bleib mal ganz ruhig, es fährt euch nicht nur ein Wagen hinterher, es werden mehrere sein.»
Die Entscheidung für Bayer 04 Leverkusen und damit auch für den Bayer-Konzern war genau richtig. Der Werkschutz des Unternehmens schirmte die beiden Flüchtlinge
ab, was bei keinem anderen Fußballverein in dieser Form möglich gewesen wäre. In dem firmeneigenen Kaufhaus erhielt Falko
eine Stelle in der Sport-, Dirk in der Rundfunkabteilung.
Von DD R-Seite aus versuchte man, die zwei zurückzuholen. Es kam sogar, wenn ich mich recht erinnere, zu einem wirtschaftlichen Konflikt
zwischen dem Bayer-Konzern und dem DD R-Außenhandel . Ein Anwalt aus Ost-Berlin reiste deshalb sogar nach Leverkusen.
Als sich in der Winterpause 1986 abzeichnete, dass der KSV Hessen Kassel Zweitligist bleiben sollte, wurde ich nach rund zweieinhalb
Jahren entlassen. Das erfuhr ich aber nicht persönlich vom Verein, sondern aus der
Bild-
Zeitung. Im Sportteil las ich, dass man Berger gekündigt hätte, ich dachte dabei im ersten Moment an den österreichischen
Rennfahrer Gerhard Berger. Erst beim Weiterlesen fiel es mir wie Schuppen von den Augen, dass ich die Person war, um die es
in diesem Artikel ging.
Man sollte als Trainer nicht aus Enttäuschung, Trotz, Geld- oder Zeitnot ein neues Angebot annehmen. Ich machte diesen Fehler
und unterschrieb zwei Wochen später bei dem Erstligisten Hannover 96. Da wir nicht nach Hannover umziehen wollten, blieben wir weiterhin in unserem Reihenhaus wohnen; während der Trainingszeiten
nächtigte ich in einem Hotelzimmer.
Von einem Zweitligisten war ich zu einer Erstliga-Mannschaft |214| gewechselt, das war etwas, was die Stasi kaum gewollt haben konnte. Seitdem stand ich noch mehr in den Schlagzeilen – von
Scheitern konnte trotz des verpassten Aufstiegs also nicht die Rede sein. Zu diesem Zeitpunkt nahm ich ein Kribbeln wahr,
zuerst in der linken Großzehe, dann insgesamt in den Füßen und Händen. Hinzu kamen Fieber, Übelkeit und ein allgemeines Schwächegefühl.
Ich dachte, ich hätte mir einen Virus eingefangen oder vielleicht zu viel Stress. Denn mit der Situation bei Hannover 96 kam
ich nicht zurecht. Das hatte damit angefangen, dass ein
Bild-
Reporter mir zu verstehen gab, ich sei zwar ein guter Trainer, aber an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt der falsche. Einen
wie Max Merkel würde man brauchen. Der Journalist hatte recht – doch es war seltsam, dass mir das kein Sportfunktionär sagte.
Das Kribbeln hörte nicht auf, wurde von Tag zu Tag schlimmer. Meine Gliedmaßen spürte ich schließlich kaum noch, alles war
taub, wie tot. Erst als ich fast nicht mehr
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