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Meineid

Meineid

Titel: Meineid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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vorging. Und es war in keiner Weise das, was ich anfänglich befürchtet hatte. Greta wirkte keinesfalls wie eine Frau am Ziel ihrer Träume. Zwar hatte sie ihre Verstörtheit ausgezeichnet unter Kontrolle, aber ich kannte sie lange genug, um die Zeichen zu deuten. Die raschen Griffe ins Haar, das verstohlene Streicheln der Oberlippe, das flüchtige Tasten an die Nasenwurzel. Auf Außenstehende wie Karreis und Feibert mochte es wie Nachdenklichkeit und Konzentration wirken, die typischen Gesten einer Frau, die sich bemüht, eine möglichst genaue Schilderung der Ereignisse zu geben. Ich kannte es als Überbleibsel der Vergangenheit. Krause Haare, vorstehende Zähne, schwache Augen. Greta war völlig verunsichert und vergewisserte sich, dass sie nicht mehr zwanzig war. Ihre Brille hatte sie nicht aufsetzen müssen an dem Morgen. Jan saß da mit undurchdringlicher Miene. Ich beobachtete ihn verstohlen. Auf Karreis’ Frage schüttelte Greta den Kopf. Ihre Aussage wurde protokolliert. Feibert verglich sie mit seinen Notizen. Zwischenfragen gab es kaum. Und damit auch keinen Hinweis auf Misstrauen. Ich nehme an, Jan fühlte sich dadurch sicher. Als die Reihe an ihn kam, hielt er sich an die Absprache. Mit müder, gequält klingender Stimme wiederholte er fast wörtlich, was Greta zu Protokoll gegeben hatte. Er ist ein Chamäleon, dachte sie. Und nun war aktenkundig, dass dieses Chamäleon den Freitagnachmittag und -abend bei ihr verbracht haben sollte. Dann sprach Karreis. Die Aussage des Pizzaboten hatten sie bereits. Eine Lieferung ausreichend für zwei Personen, die Greta in einem alten Badeanzug und mit einer Pflegemaske im Gesicht entgegengenommen hatte. Karreis nannte es den Beweis großer Vertrautheit, um nicht zu sagen, Intimität, dass Greta in dieser Aufmachung die Gesellschaft eines Freundes genoss. Er fand es allerdings ungewöhnlich, dass sie dem Pizzaboten in dieser Aufmachung selbst geöffnet hatte. Wenn Jan bei ihr war, hätte sie doch ihn an die Tür schicken können.
    «Ich glaube, er war gerade im Bad», sagte Greta. Karreis warf Jan einen fragenden Blick zu. Jan hob nur vage die Achseln. Karreis lächelte Greta an, ob freundlich zustimmend oder lauernd, hätte ich nicht sagen können. Er wollte wissen, ob sie miteinander gesprochen hatten, als es an der Tür klingelte.
    «Bestimmt», sagte sie.
    «Wir haben die ganze Zeit miteinander gesprochen. Aber was ich gerade in dem Moment sagte …»
    Musste sie nicht mehr wissen. Der Pizzabote wusste es. Er hatte eine Männer- und eine Frauenstimme gehört, während er darauf wartete, dass ihm geöffnet wurde. Die Männerstimme hatte gerufen:
    «Warte einen Moment. Ich geh ran.»
    Die Frau hatte geantwortet:
    «Schon gut.»
    Er musste das junge Paar in der Nachbarwohnung gehört haben, vielleicht hatte dort das Telefon geklingelt. Es war nebensächlich, die Uhrzeit zählte. Kurz nach acht. Leider half uns das nicht viel. Der Obduktionsbericht lag der Staatsanwaltschaft bereits vor. Karreis hatte eine Kopie. Der Gerichtsmediziner hatte den Eintritt des Todes auf frühestens siebzehn Uhr festgesetzt, eher siebzehn Uhr dreißig. In den zweieinhalb Stunden bis zur Pizzalieferung hätten sie mehrfach zwischen Lindenthal und Gretas Wohnung hin- und herfahren können. Karreis machte eine Andeutung in diese Richtung, lächelte dabei und ließ niemandem Zeit für Protest. Er sprach kurz über die drei Stichverletzungen, nannte es eine Sekundenaktion. Dann kam er zu den weiteren Verletzungen. Er schaute verstohlen auf Jans verbundenen Arm, während er sich erkundigte, ob es in der ehelichen Sexualität zu ungewöhnlichen Praktiken gekommen sei. Jan erklärte mit gefasster Stimme:
    «Ich verabscheue ungewöhnliche Praktiken. Meine Frau schätzte sie. Das war der wichtigste Streitpunkt in unserer Ehe, wichtiger noch als das Geld.»
    Karreis ging nicht darauf ein. Es schien, als wechsle er das Thema, als er sich von Jan die Besprechung im Sender noch einmal erklären ließ. Das hatten sie nachgeprüft. Und fest stand, selbst wenn Jan zügig von Lindenthal in die Innenstadt gelangt war, musste er sein Haus mittags spätestens um dreizehn Uhr dreißig verlassen haben.
    «Ich bin früher losgefahren, dreizehn Uhr fünfzehn», sagte Jan. Karreis nickte, als sei ihm das bekannt.
    «Wo war Ihre Frau zu diesem Zeitpunkt, Herr Tinner?»
    Jan wusste es nicht. Tess war am frühen Vormittag zum üblichen Besuch bei ihren Eltern aufgebrochen und über Mittag nicht heimgekommen.

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