Meineid
Mann seine Freizeit mit den Eltern statt mit seiner Dauergeliebten verbringt, muss man nur eins und eins zusammenzählen. Mein Vater kam dazu und machte eine Andeutung, von wegen: Der Klügere gibt nach. Da ging ich lieber hinauf in meine Wohnung, saß dort noch einige Stunden, die meiste Zeit im Bad. Eine runde Wanne, genau die Wanne, die Greta vor dreizehn Jahren ausgesucht hatte. Und ich wünschte mir, dass sie sich damals so gefühlt hatte wie ich jetzt, dass es sie innerlich zerrissen hatte. Um halb elf machte ich mich auf den Weg zu ihrer Wohnung, weil ich es nicht mehr aushielt. Da ich einen Schlüssel besaß, konnte ich jederzeit hinein. Im Aufzug legte ich mir die Worte zurecht.
«Schläfst du mit Jan? Seit wann geht das schon so? Warum musste ich es von Tess erfahren?»
Und dann wollte ich sagen:
«Wenn du genug von ihm hast, du weißt ja, wo du mich findest.»
Ich hoffte inständig, dass ich es so kühl über die Lippen brachte, wie es mir vorschwebte. Dass ich nicht in Tränen ausbrach oder sonst etwas Dummes tat, nicht die Hände um ihren Hals legte. Nicht aufgeben, nur eine Pause machen. Eine Pause verkraften wir, dachte ich. Das haben wir schon einmal geschafft, zwei volle Jahre lang. Wenn sie Jan unbedingt wollte und er sie inzwischen ebenso, konnte ich es nicht verhindern. Ich konnte nur hoffen, dass er tatsächlich die Niete war, als die Tess ihn häufig bezeichnet hatte. Wie ich Greta kannte, musste sie rasch spüren, dass es nur der erste Überschwang der eigenen Leidenschaft war, der für akzeptable Ergebnisse sorgte. Und damit wäre sie nicht lange zufrieden gewesen. Als ich ihre Wohnung betrat, war alles dunkel. Für einen Moment hoffte ich noch, dass sie bereits schlief. Ich hätte mich neben sie legen können, sie in den Arm nehmen und halten, bis sie aufwachte. Aber sie war nicht da. Die Frage, wo sie sein könnte, stellte sich nicht. Greta war nicht der Typ, der sich nach einem Streit in irgendeine Bar setzte, um sich zu betrinken. Normalerweise verkroch sie sich in ihrer Wohnung und tobte ihre Wut am Schreibtisch aus. Dann flogen Aktenvermerke, halb fertige Plädoyers, Kopien von Schriftstücken, kurz alles, was sie sonst noch zwei Tage später dringend brauchte, in den Papierkorb, wo sie es jederzeit wieder heraussuchen konnte. Manchmal erledigte das auch ihre Zugehfrau. Sie kippte niemals den Papierkorb aus, ohne vorher jeden Schnipsel kontrolliert zu haben. Aber diesmal hatten wir nicht nur gestritten. Ich hatte sie beleidigt und verletzt, war ziemlich sicher, dass sie nach Lindenthal gefahren war, um sich von Jan trösten zu lassen. Vielleicht hatte sie mein Telefongespräch mit Tess belauscht und gedacht, jetzt müsse sie nicht länger Versteck spielen. Sie konnte zwar nicht verstanden haben, was Tess sagte, aber meine Reaktion hätte ihr gezeigt, dass es keine angenehme Nachricht sein konnte. Mir war nicht danach, ihr zu folgen. Ich wollte in ihrer Wohnung warten, bis sie zurückkam, und sie dann zur Rede stellen. Auf dem Tisch im Wohnzimmer lagen die vier Romanseiten. Die Szene, die Jan am Dienstagabend geschrieben hatte, während Greta sich auf der Terrasse mit Tess auseinander setzte. Der Anblick der vier Seiten hatte eine seltsame Wirkung, versetzte mich zurück in die Anfangszeit, wo ich nur nach nebenan hatte gehen und klopfen müssen. Wo ich stets zuerst besorgt und dann sehr erleichtert gewesen war. Arme Greta, wieder ein verlorener Abend, aber du hast ja mich. Ich setzte mich auf die Couch und begann zu lesen:
«Erst zwei Tage zuvor hatte sie ihn aus der gemeinsamen Wohnung gewiesen, weil sie das, was er Liebe nannte, nicht mehr ertragen konnte. Und jetzt war er wieder da, erwartete sie schon, als sie hereinkam. Sie hatte sich zu sicher gefühlt, hatte vergessen, dass er noch einen Schlüssel besaß. In den beiden Jahren mit ihm hatte sie gelernt, was es heißt, Angst zu haben. Mit jedem Tag und jeder Nacht hatte sie es ein bisschen mehr gelernt. Aber das war nichts im Vergleich zu dem, was sie jetzt empfand. Wie er da auf der Couch saß, die unvermeidliche Zigarette in der rechten Hand, ein Grinsen auf den Lippen, das ihr kalte Schauer über den Rücken trieb. Er stemmte sich langsam hoch, kam auf sie zu. Schweigend. Grinsend. Den ersten Schlag spürte sie kaum …»
Es folgte die übliche Prügelszene. Der Mann ging zielstrebig und trotzdem vorsichtig zu Werk. Er achtete darauf, dass es keine Knochenbrüche, keine ausgeschlagenen Zähne und keine großflächigen
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