Meineid
Blutergüsse gab. Er war Spezialist für Schläge, die keine Spuren hinterließen, ausgebildet im lautlosen Töten. Eine Waffe brauchte er nicht. Seine Hände waren seine Waffen. Nachdem die Frau das Bewusstsein verloren hatte, legte er sie aufs Bett, vergewaltigte die Wehrlose, versetzte ihr einen Tritt in den Brustkorb und brach ihr dabei zwei Rippen. Dann übergoss er sie mit hochprozentigem Rum, kippte ihr auch etwas in den Rachen. Zu guter Letzt zündete er sich eine Zigarette an, rauchte genüsslich, bis nur ein kleiner Stummel übrig blieb. Den drückte er ihr zwischen zwei Finger. Ihre Hand legte er auf das mit Rum getränkte Laken, wo der Zigarettenstummel fast augenblicklich aus den kraftlosen Fingern rutschte. Er sah es mit Zufriedenheit. Dann ging er zur Tür. Dort wartete er, bis die Glut ihr Ziel erreicht. Und das in allen Einzelheiten, es war widerwärtig. Dass die Frau rothaarig war, machte die Sache nicht erträglicher. Sonst beschränkte Jan sich auf Allgemeinplätze wie jung und hübsch, wenn es um die Beschreibung seiner Opfer ging. Diesmal hatte er nichts ausgelassen, die Form der Lippen, die grünen Augen, die Fingernägel, sorgfältig gefeilt, nicht zu lang, nicht zu kurz. Die winzigen roten Äderchen am linken Fußgelenk direkt über dem Knöchel, die kleinen Füße, Schuhgröße sechsunddreißig, Tess! Und plötzlich wurde es zweitrangig, ob Greta mit Jan schlief. Das war ja nur eine Vermutung. Viel wichtiger erschien mir, was Tess sonst noch gesagt hatte.
«Ich hätte nie gedacht, dass Greta mir auf diese Weise heimzahlt, was damals passiert ist. Ich meine, es war nicht meine Schuld, ich hatte dir keine Veranlassung gegeben, sie zu verlassen. Manchmal denke ich auch, vielleicht bilde ich mir nur ein, dass zwischen ihnen etwas läuft. Ich kann nicht beweisen, dass sie mit Jan schläft. Also will ich das Thema nicht zur Sprache bringen. Das muss ich auch nicht, ich habe genug andere Punkte, die ich als Grund für meine Trennungsabsicht anführen kann. Darüber reden wir, wenn ich mehr Zeit und bessere Nerven habe. Aber eines kannst du glauben, Niklas, wenn ich auspacke, niemand wird mir zumuten, ein Trennungsjahr einzuhalten. Herrgott, warum habe ich dir vor zwei Jahren nicht geglaubt!»
Ich brach sofort auf, um mit Tess zu sprechen. Natürlich ging ich davon aus, Greta in Lindenthal zu treffen – zusammen mit Jan, vielleicht hinter der verschlossenen Tür des Arbeitszimmers. Aber die Vorstellung von einer zärtlichen oder leidenschaftlichen Umarmung, die mich noch vor knapp einer Stunde gequält hatte, wollte mir jetzt nicht mehr gelingen. Greta hatte flüchtig erwähnt, dass Jan ihr die vier Seiten am Dienstagabend in die Finger gedrückt hatte. Dass sie die Szene erst vor wenigen Stunden gelesen hatte, erfuhr ich erst später. * Wir haben so oft über diesen Freitagnachmittag und den Abend gesprochen, jeden Schritt, jede Geste, jeden Gedanken und die grausamen Gefühle dabei. Ich weiß, dass Greta ihre Wohnung kurz nach sechs Uhr abends betreten hat. Ich weiß auch, in welcher Verfassung sie war. Ruhig und beherrscht war sie nach ihrem Termin bei Luis Abeler keine Sekunde lang gewesen. Dass sie nach unserem hässlichen Streit noch einen seitenlangen Schriftsatz diktieren konnte, war nur Macht der Gewohnheit, eiserne Selbstbeherrschung. Wenn es nur nach ihrem Gefühl gegangen wäre, hätte sie sich schon in der Diele auf den Boden geworfen, mit den Fäusten um sich geschlagen und geschrien, um meine Stimme zu übertönen, die ihr noch durch den Kopf dröhnte. Aber sie warf sich nicht auf den Boden, tobte auch nicht herum. Sie riss nur alle Fenster auf und sich die Kleider vom Leib. Ein graues Kostüm und eine weiße Bluse. Die Sachen waren völlig verschwitzt und fleckig. Sie wusch sie aus und ruinierte sie damit für alle Zeiten. Die Bluse nahm die Form eines Wischlappens an. Das Kostüm wechselte die Farbe von Grau zu Dunkelblau, als es nass wurde. Manche Stoffe vertragen es nicht, wenn man sie mit heißem Wasser und Seife bearbeitet. Sie ließ die Sachen im Becken liegen und ging unter die Dusche. Da blieb sie ungefähr eine halbe Stunde. Doch nur mit lauwarmem Wasser und Duschgel ließen sich die Spuren des Tages nicht beseitigen. Als sie nach dem Duschen vor den Spiegel trat, erschrak sie über ihr Aussehen. Sie hatte immer Probleme mit ihrer Haut gehabt, wenn auch längst nicht so gravierend, wie sie es darstellte. Sie trug eine Pflegemaske auf. Laut Packungsaufschrift sollte die
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