Meinen Sohn bekommt ihr nie
Traditionalisten, Orthodoxen und Ultraorthodoxen. Bei Letzteren unterscheidet man noch zwischen den äuÃerst strenggläubigen Charedim und den Chassidim.
Sie alle leben mehr schlecht als recht nebeneinander, und der Konflikt zwischen Gläubigen und Säkularen stellt die israelische Gesellschaft immer wieder auf eine ZerreiÃprobe. Die Gläubigen werfen den Säkularen vor, ihre jüdische Identität und damit die Grundlage des israelischen Staats zu verraten. Die Säkularen sehen in der Unnachgiebigkeit der Ultraorthodoxen ein Risiko für die Demokratie, die das Land in einen verhängnisvollen religiösen Fundamentalismus stürzen könnte. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Israel an dem Tag, an dem die Verteidigung seiner Landesgrenzen nicht mehr oberste Priorität hätte, in einen verheerenden Bürgerkrieg schlittern würde.
Shai geht nun jeden Freitagabend in die Synagoge. Gerne zünde ich die Kerzen an und bereite ein gutes Essen zu. Nur bleibt Shai nach dem Abendessen lieber zu Hause und möchte nicht ausgehen. Mir soll es recht sein, so kann ich Freunde einladen. Und das Fernsehprogramm ist auch nicht ohne. Zum Beispiel schauen wir die beliebte TV-Serie Litfos èt Hashamaim (Den Himmel einfangen) an. Darin geht es um die Abenteuer einer säkularen Familie in Tel Aviv, deren Oberhaupt immer religiöser wird und dadurch das Leben aller auf den Kopf stellt. Insbesondere schreibt er seiner Frau vor, das Ritualbad aufzusuchen. Sie gibt klein bei, muss sich aber jedes Mal auf dem Weg dorthin Mut in Form einer halben Flasche Wodka antrinken, so dass sie beschwipst im Bad ankommt. Ich begreife nicht alles, aber die Szene ist zum Schreien komisch. Lachend sage ich zu Shai: «Gegen mehr jüdische Traditionen hab ich nichts einzuwenden, solange du nicht so einer wirst.»
Es heiÃt, Liebe macht blind.
Mit der Zeit bittet mich Shai, den Sabbat doch etwas strenger einzuhalten. Zum Beispiel solle ich versuchen, von Freitagabend bis Samstagabend aufs Rauchen zu verzichten. Warum eigentlich nicht? Das würde mir sicher nicht schaden, im Gegenteil.
Die Arbeiten an der künftigen Wohnung nehmen meine ganze freie Zeit in Anspruch. Unter der Woche fahre ich an drei Abenden nach Ramat Gan, um zusammen mit dem Bauunternehmer nach dem Rechten zu sehen. Shai überlässt die Auswahl der Materialien und die Innenausstattung mir allein. Ich sei die Besitzerin, sagt er mit einem Augenzwinkern, die Wohnung werde schlieÃlich von meinem Geld bezahlt.
Ohne dass ich es merke, werden unsere Abende immer einsamer. Während ich zwischen Tel Aviv und Ramat Gan hin und her flitze, verbringt Shai seine Zeit mit Lesen. Mein Hebräisch ist nicht gut genug, um den Inhalt seiner Bücher zu verstehen. So weià ich zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht, dass es sich dabei ausschlieÃlich um religiöse Literatur handelt.
Eines Abends fragt mich Shai, ob ich mir vorstellen könne, die wichtigsten, recht anspruchsvollen Vorschriften zur Familienreinheit zu erlernen und zu respektieren. Ich bejahe, da er seine Bitten immer sehr liebevoll und sanftmütig vorbringt. Er möchte nichts erzwingen, er macht lediglich Vorschläge. Vor allem aber habe ich das vage Gefühl, ja die Ãberzeugung, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben zu einem mir unbekannten Bereich vorstoÃen und an das Geheimnisvolle, das Göttliche, den heiligen Teil meines jüdischen Glaubens rühren werde.
Wieder einmal sollte ich mich täuschen.
Von einer erfahrenen Frau lerne ich also die Grundlagen der Nidda, eines sehr komplexen Talmudtraktats, das alle Reinheitsgebote umfasst.
Während der Menstruation oder im Wochenbett wird eine Frau als unrein betrachtet und zur Nidda, was wörtlich übersetzt «getrennt», «ausgestoÃen» bedeutet. Von diesem Augenblick an vermeidet das jüdische Ehepaar jeden Körperkontakt und schläft für mindestens fünf Tage, die Zeit der Periode, plus weitere sieben Tage in getrennten Betten, im Ganzen also rund ein Dutzend Tage.
Am Ende ihrer Regelblutung unterzieht sich die Frau einer innerlichen Untersuchung, der «Reinheitsunterbrechung». Nachdem sie sich gründlich gewaschen hat, führt sie vor Sonnenuntergang ein Stück weiÃen, weichen Stoff in sich ein, den sie beim ersten Licht des darauffolgenden Tages wieder entfernt und daraufhin prüft, ob er vollkommen rein, ohne jeden Rückstand von Blut
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