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Meinen Sohn bekommt ihr nie

Titel: Meinen Sohn bekommt ihr nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabelle Neulinger
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dem Mann drei Aufgaben: Er muss seine Frau ernähren, sie kleiden und auf die Bedürfnisse ihres Seelenlebens eingehen.
    Ãœber einem zweiten Glas Wein rezitiert der Rabbi dann die sieben Segnungen, in denen das Verhältnis zwischen den Eheleuten und dem Ewigen sowie die Freude, die einer Heirat innewohnt, zum Ausdruck kommen. Nachdem wir erneut vom Wein getrunken haben, beendet Shai die religiöse Zeremonie, indem er mit dem rechten Fuß ein Glas zertritt und so auf die Zerstörung des Tempels in Jerusalem und die Unbeständigkeit der menschlichen Beziehungen anspielt. Einen Moment lang ist es ganz still, bevor alle «Masel tov!» rufen und nach vorne eilen, um uns die Hand zu schütteln. Das Fest kann beginnen.
    Meine Schwiegermutter hat zur Hochzeitsfeier zahlreiche israelische Persönlichkeiten aus ihrem Bekanntenkreis eingeladen – Künstler, Sänger und Schlagzeuger, die diesen ganz besonderen Tag zu einem unvergesslichen Ereignis machen. Während des Essens wird gesungen und getanzt, die Gäste kennen trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft keine Berührungsängste, es ist ein ausgelassenes und fröhliches Fest.
    Der Tag geht schon zu Ende, als ich meine Singlefreundinnen zusammentrommle und einen Toast ausbringe: «Ich wünsche euch allen ein langes Leben, Liebe, Glück und… einen Mann, wie ich ihn habe!»
    Sie klatschen in die Hände und lassen mich hochleben. Jahre danach werden sie sich an diesen mit so viel Bestimmtheit ausgesprochenen Wunsch zurückerinnern.
    Die Hochzeitsnacht verbringen wir in einer Suite in Tel Aviv mit Blick aufs Meer.
    Am nächsten Morgen necke ich Shai: «So schlimm sind sie doch gar nicht, die Rabbis.» Ein Satz, der mir später nicht mehr so leicht über die Lippen gekommen wäre.

Ein paar jüdische Traditionen
    Unser Leben zu zweit steht Ende 2001 unter einem guten Stern. Shai arbeitet als Sportlehrer an einer Schule, ich habe eine spannende Tätigkeit in einem internationalen Konzern. Wir gehen oft ins Kino, besuchen Konzerte, essen auswärts und lassen uns von der allgemeinen Feierlaune in Tel Aviv anstecken. Fast jeden Abend fahren wir auf der Strandpromenade oder im nahen Jarkon-Park mit unseren Inlinern. Daneben begeistert sich Shai auch für Kampfsport und macht Breakdance. Manchmal sitzen wir auch einfach nur am Strand und betrachten den Sonnenuntergang, oder wir besuchen meine alte Tante Flor, die sich immer freut, uns zu sehen. Wenn ich Zeit habe, koche ich europäische Gerichte und lade Freunde ein.
    Am Wochenende gehe ich weiterhin mit meinen Freundinnen an den Strand. Wenn Shai nicht mitkommt, trifft er sich mit seinem Freund Tomer. Tomer ist querschnittgelähmt, was Shai jedoch nie daran gehindert hat, ihn wie jeden anderen zu behandeln und sogar zu Extremsportarten zu ermutigen. Sie gehen zusammen schwimmen und Fallschirm- oder Bungeespringen. Tomer, der trotz seiner Behinderung den Freuden des Lebens nicht abgeneigt ist, gerne gut isst und mit den Frauen flirtet, hat mich sogleich ins Herz geschlossen, und zu dritt unternehmen wir Ausflüge in die Negevwüste, auf die Golanhöhen oder nach Haifa auf den Carmelberg. Wir lachen viel und sind ausgelassen. Ich bin überglücklich.

    Eines Abends im Dezember, einen Tag vor dem Lichterfest Chanukka – ich zünde gerade den achtarmigen Leuchter an –, sagt mir Shai, dass er noch nie einen Fuß in eine Synagoge gesetzt hat, bis auf das eine Mal, als er Schutz vor dem Regen suchte und… hinter einer Frau her war.
    Ich bin erstaunt. «Und was ist mit deiner Bar-Mizwa?»
    Â«Eine Bar-Mizwa hatte ich nicht», antwortet er.
    Ich falle aus allen Wolken. Zwar weiß ich, dass in Shais Familie die Religion keine Rolle spielte, aber das hätte ich nicht für möglich gehalten. Die Bar-Mizwa ist für einen jüdischen Jungen ein entscheidendes Ereignis, der Übergang in einen neuen Lebensabschnitt. Wie konnten seine Eltern nur so nachlässig sein? Da ich merke, dass sich Shai unwohl fühlt, bohre ich nicht nach. Stattdessen frage ich: «Und was würdest du davon halten, einmal in die Synagoge zu gehen? Vor einem Festtag zum Beispiel. In meiner Familie feiert man alle großen Feste.»
    Â«Das würde ich gern», meint er.
    Â«Ja, tu das. Es wird dir gefallen», ermutige ich ihn.
    Am Freitag darauf teilt mir Shai mit, abends zum Sabbatgottesdienst in eine der Synagogen unseres Viertels zu

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