Meines Bruders Moerderin
gewusst?! Und hast geschwiegen? Du bist ein totaler Arsch. Weißt du das?!«
»Aber ja doch, ich bin ja nicht ganz blöd.« Breites Grinsen. »Ich sah mich nur leider gezwungen, mich zurückzuhalten. Der Fall war ja offiziell abgeschlossen. Aber wir haben sie weiter unter Beobachtung.« Er nahm sein Handy heraus und wählte. »Bonet hier. Raval. Zugriff Isabel Ribera und Nacho Nadal. Verstanden? Gut. Ich bin unterwegs.«
Janet sprang vom Barhocker, packte ihre Tasche und lief auch zur Tür. Dagmar wollte noch etwas sagen. Fragen. Luis trank ruhig sein Glas aus, Martín packte halbherzig ein paar Teller, stellte sie auf der Theke ab und winkte ihr zu. Sie drehte sich um und eilte hinter Janet, Pia und Bonet her. Pia. Der Lift schloss sich vor ihrer Nase, und sie musste die schmale Treppe nehmen. Pia wusste, was sie tat. Pia hatte den Überblick. Dagmar lief schneller.
43
War es das, was sie immer gewollt hatte? Berge von schmutzigem Geschirr, Essensreste und Fett, inzwischen angetrocknet? Es war weit nach Mitternacht, und die schiefen Stapel machten sich in der ganzen Küche breit. Vier Gänge für sechs Personen. Kochende Männer hinterließen immer ein Chaos. Pia holte sich ein Mineralwasser aus dem Kühlschrank, drehte den Radiosender, der Manu Chao spielte, lauter und begann mit den Gläsern. Ja. So und nichts anders.
Fast wären sie zu spät gekommen. Vier Polizeiautos und zwei Mannschaftswagen hatten die winzige Verbindungsstraße bei der Sant Bartomeu abgeriegelt. Die Polizisten waren schwer bewaffnet und trugen schusssichere Westen unter den dunklen Einsatzuniformen. Sie waren die Einzigen auf der Straße. Es wurde dunkel, und die ersten Bars machten auf. Die Anwohner, Frauen und Stammgäste waren verschwunden, nur ein paar Touristen hingen verloren herum und wurden abgedrängt.
Das Haus hatte zwei Eingänge. Der eine zur Straße hin, direkt neben einer Disko, der andere zum winzigen, abfallübersäten Hinterhof. Ein enges Treppenhaus mit durchgetretenen Stufen. Janet und Dagmar mussten im Einsatzwagen warten. Pia hielt sich dicht hinter Bonet. Sie hatte ihm die Pistole ihres Vaters gezeigt, und er hatte genickt. Kein Toni, kein Fernsehen. Sie bewegten sich geräuschlos. Die Wohnung lag ganz oben im fünften Stock direkt unter dem Dach. Nur eine Tür. Zerkratztes Holz, kein Namensschild. Es war heiß und stank nach saurem Abfall und billigem Parfum. Eine Frau schrie, aber es konnte auch ein Fernseher sein. Der Einsatzleiter stand kurz vor der Pensionsgrenze, hieß Jorge Irgendwas, und Pia kannte ihn nur vom Hörensagen. Er hatte mit seinen Leuten auf sie gewartet. Pia nahm er nicht wahr, er wandte sich nur an Bonet. Sie verständigten sich mit Fingerzeichen.
Bist du sicher?
Ja.
Dann los!
Bonet sah Pia an. Sie standen seitlich, keiner von ihnen konnte durch mögliche Schüsse von innen getroffen werden. Pia klopfte an die Tür. Nichts. Sie klopfte erneut. »Isabel?«
Nichts. Kein Geräusch, keine Reaktion.
Pia klopfte erneut. Heftig. »Isabel? Ich bin's, Pia. Kann ich dich kurz sprechen?«
Schleichende Schritte? Flüstern? Pia spürte, dass die Männer hinter ihrem Rücken unruhig wurden.
Sie stoppte sie mit einer Handbewegung. Klopfte noch einmal, sanft diesmal. »Isabel, bitte mach auf.«
Die Tür öffnete sich einen Spalt, ein Auge wurde sichtbar, ein großes, sorgfältig geschminktes Auge. Pia lächelte und wollte die Tür etwas weiter aufdrücken, aber Jorge und Bonet kamen ihr zuvor. Sie warfen sich an ihr vorbei, traten die Tür auf, sprangen mit gezückten Waffen hinein. Brüllten unverständliche Befehle. Die anderen drängten wie eine gut gedrillte Armee hinterher. Als Pia dazukam, war alles schon vorbei.
Eine gemütlich, fast spießig eingerichtete Wohnung mit Dutzenden brennender Duftkerzen, ein Bett mit silberner Satinwäsche. Keine Männer, kein Zuhälter, kein Nacho Nadal. Keine Waffen. Nur zwei Frauen. Isabel Ribera, schmal, schön und nackt mit gespreizten Armen und Beinen von einer MP an die Wand gepresst. Und neben ihr auf dem Boden die andere. Muskulös, durchtrainiert, kurzhaarig, nur mit einem schwarzen Slip bekleidet. Sie lag auf dem Bauch, im Genick den Stiefel eines der Polizisten.
Die Männer grinsten.
»Stell das ab«, Pias Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Sofort!«
Bonet brüllte. Die Männer reagierten im Zeitlupentempo. Pia warf eine Decke über Isabel und gab der anderen ein Tischtuch. Sie hatte sie nach Dagmars Bericht sofort erkannt. Soledad, die
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