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Meines Bruders Moerderin

Meines Bruders Moerderin

Titel: Meines Bruders Moerderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Rodrian
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Arm.
    Barbara wachte auf. Der Schmerz in ihrem Arm blieb. Sie war nicht allein. Ein schwacher Geruch von Schweiß, Rasierwasser, Zigarettenrauch und Knoblauch. Rascheln. Leises Quietschen von Gummisohlen auf PVC-Boden.
    Sie bewegte sich nicht. Versuchte, sich zu orientieren. Krankenhaus. Nacht. Die wievielte? Seit wann war sie hier? Tage? Wochen? Panik.
    Die Gestalt über ihrem Bett trug Krankenhausgrün und verschmolz mit der Dunkelheit. Nur die Spritze in ihrem Arm blitzte im Licht von der Tür. Barbara drehte den Arm weg, die Infusionskanüle sprang heraus, Blut spritzte über das Laken.
    Sie schrie.
    Die grüne Gestalt duckte sich und huschte aus der Tür. Barbara schrie.
    Pickelbulle und Rastaschwester stürmten gleichzeitig herein. Licht flammte auf.
    »Was hast du denn angestellt?« Milder Vorwurf. Schwester Rasta trug Weiß.
    »Ich, es tut mir Leid ... Ich war nur ganz kurz austreten ...« Der Polizist trug seine blaue Uniform.
    »Schon gut«, Schwester Rasta begann, den Arm zu reinigen und die Infusion zu erneuern. »Es ist nichts weiter passiert, sie hat nur schlecht geträumt. Gehen Sie, gehen Sie jetzt!«
    »Eh«, Barbaras Stimme war nicht viel mehr als ein Husten. Der Polizist blieb stehen. »Wie lange machen Sie jetzt schon Dienst? Sie müssen ja total übermüdet sein. Werden Sie nie abgelöst?« Tiefe Röte stieg von seinem Hals hoch, die Pickel leuchteten wie Himbeeren im Kuchenteig.
    »In zwei Stunden. Aber keine Angst, ich pass schon gut auf sie auf.«
    Barbara versuchte ein Lächeln und sah ihm nach. Er meinte es ernst. Er passte auf, aber der Grünkittel war trotzdem reingekommen. Ein Mann. Groß, breitschultrig. Und er hatte wie ein Mann gerochen. Die Schwester wischte ihr die Stirn feucht ab und gab ihr eine Tablette.
    »Nimm die, dann kannst du wieder einschlafen.«
    Barbara drehte den Kopf weg. »Nein. Nicht nötig. Wie heißt du?«
    »Yolanda. Bist du sicher, dass du keine Beruhigungspille willst?«
    »Ganz sicher. Sag mal, hast du eben einen Arzt im grünen Kittel gesehen?«
    »Nein, bei uns hier oben ist im Moment kein Arzt, die sind alle unten in der Notaufnahme. Oder im Bereitschaftszimmer wie Dr. Mendoza. Du musst dir keine Sorgen machen, sagt er. Du bist über den Berg. Du schaffst es. Du hast eine gute Heilhaut. Wenn wir es ohne Infektion schaffen, können wir auch bald mit einer moderaten Bewegungstherapie beginnen. Vielleicht wirst du ein paar Narben behalten, aber ...«, sie sah hastig zur offenen Tür und senkte die Stimme, »... aber du wirst mit deinen Händen wieder alles machen können!« Ein kleines Lächeln, und sie ging hinaus.
    Dunkelheit.
    Die Geräusche der Nacht. In einem anderen Zimmer stöhnte eine Frau, weit weg und durch dicke Thermopanefenster gedämpft wummerte Musik.
    Barbara versuchte, wach zu bleiben.
    Die Hände. So weich und geschmeidig wie vor dem Feuer würden sie nie wieder werden. Barbara wusste, was Brandnarben aus Haut, Muskeln und Sehnen machten.
    Annamirl war auch in dem Heim, aus dem sie mit Dany geflohen war. Sie hatte eine schöne Stimme und konnte meisterhaft Gitarre spielen. Und sie wollte immer nur eins, spielen. Stattdessen wurde sie dauernd zum Küchendienst eingestellt. Die Köchin hieß Kathi und war ein schlichtes Gemüt aus Niederbayern. Annamirl sollte immer singen, während sie die täglichen dreißig oder vierzig Kilo Kartoffeln schälte. »Wenn du nicht schön singst, dann nehm ich dir die Gitarre weg.« Eines Tages wollte Annamirl nicht singen, und Kathi machte ernst. Es gab ein Gerangel, und der riesige Aluminiumtopf mit kochendem Wasser kippte auf Annamirls Hände. Sie konnte nie wieder Gitarre spielen. Aber sie sang auch nie wieder.
    Barbara konnte die Augen nicht mehr offen halten. Müdigkeit schwappte über sie hinweg. Sie schlug ihren Arm gegen den Bettrahmen, der Schmerz weckte sie. Dany hatte sie damals verraten und ihr die ganze Schuld zugeschoben. Sie hatten natürlich ihm geglaubt. Die Spritze war nicht mehr da. Pickel oder Rasta hätten ihr auch nie geglaubt. Keiner glaubte ihr. Sie war allein. Aber das war sie, seit sie denken konnte.
    Jemand hatte eben versucht, sie zu töten. Aber sie wollte nicht mehr sterben. Jetzt nicht mehr. Sie wollte leben. Mit Händen oder ohne. Leben. Sie würde kämpfen. Sie würde ... es nicht zulassen ... sie ...

25
    Glenn Gould spielte seine Goldberg Variationen in voller Lautstärke. Honigkerzen rund um die Wanne und ein Ballantines on the rocks. Üppige Schaumberge und der herbsüße Duft

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