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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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Engländer, Franzosen, Russen und Italiener gekämpft, eine enorme militärische Leistung. Und niemand hat sie auch nur ansatzweise auf eine Niederlage vorbereitet, der Kaiser nicht, die Regierung nicht, die Oberste Heeresleitung sowieso nicht.
    Noch bis Mitte Juli 1918 hatte der allmächtige General Ludendorff den Spitzen der Regierung, auch seinen Generälen strahlende Siegesgewißheit vermittelt. Am Ende des nächsten Krieges findet sich der gleiche Realitätsverlust bei Hitler wieder. Dabei waren die Nachrichten von der Westfront düsterer denn je. Die großen Offensiven vom Frühjahr 1918 hatten sich festgefahren, doch für den Juli hatte Ludendorff den »Endsieg« prophezeit. Das kostete die Deutschen 800 000 Tote, Verwundete und Vermißte, und jetzt strömten Massen amerikanischer Soldaten nach Frankreich. Sie brachten die tödlichen »Tanks« mit, den ersten Panzerkampfwagen, und als zunächst die Franzosen, dann die Engländer und schließlich die frischen amerikanischen Truppen zur Gegenoffensive übergingen, starben von August bis November noch einmal 700 000 deutsche Soldaten. Das sind zusammen – eine Parallele zu Hitlers Inferno – rund anderthalb Millionen deutsche Opfer im letzten Dreivierteljahr des Krieges.
    Und das hat keiner gewußt? Doch. Keiner hat jedoch erwartet, daß dies die Niederlage bedeutet, daß der Krieg für Deutschland »unehrenhaft« zu Ende gehen würde. Der Krieg war zwar im Land allgegenwärtig, aber die Kämpfe waren weit weg. Anders als im Zweiten Weltkrieg gab es keine fremden Truppen auf deutschem Boden, keinen Luftkrieg über deutschen Städten, keine Bombennächte in Luftschutzkellern. Wenige Monate zuvor, Anfang 1918, hatte US-Präsident Woodrow Wilson seinen 14-Punkte-Plan für eine europäische Friedensordnung nach dem Krieg vorgestellt. Deutschland sollte alle seine Eroberungen verlieren – Belgien, französische Provinzen, Elsaß-Lothringen, vom Baltikum bis zur Ukraine alles in Rußland Geraubte. Nicht nur die Oberste Heeresleitung und deren willfährige Reichsregierung hatten verächtlich abgewinkt. Für die deutsche Bevölkerung waren Wilsons Bedingungen eine Lachnummer, und auch im Reichstag hieß es: »So doch wohl nicht!« Daß diese 14 Punkte Grundlage eines Waffenstillstands-Abkommens sein würden – undenkbar!
    HG in der fernen Ukraine ahnt das natürlich auch nicht, und Kurt, im Stellvertretenden Generalkommando Magdeburg besser mit Informationen versorgt, läßt ihn an seinen bösen Vorahnungen nicht teilhaben. HG schickt Einmachzucker, Blumenkohl, Eier und vor allem Mehl nach Hause, was auch bitter nötig ist. Gertrud hat gerade von der Stadtverwaltung 50 (!) Gramm pro Person in ihrem Haushalt »für die fleischlose Woche« zugeteilt bekommen. Aber sie ist nicht kleinzukriegen: »Hausputz ohne Putzmittel ist schwierig. Wir probieren es jetzt mit Sand.« Oder: »Wir haben aus den dünnen englischen Plaids Kleider für Annie und Erika genäht. Das sieht sehr hübsch aus.« Mitte September schreibt sie: »Es ist jetzt abends schon kühl. Wir können nur zwei Zimmer heizen, aber da ist die Familie eng beisammen.« Wenig später klingt das so: »Gott unterzieht unser deutsches Volk einer schweren, schweren Prüfung, aber wir werden sie mit seiner Hilfe bestehen.«
    Ernsthaft beunruhigt ist Gertrud über die sich häufenden Grippe-Erkrankungen. Die jüngste Tochter Erika liegt seit Wochen im Bett: »Gottseidank ist sie nicht in Lebensgefahr. Wir haben jetzt auf dem Friedhof alle halbe Stunde eine Beerdigung.« Die Schulen sind geschlossen, öffentliche Veranstaltungen werden abgesagt, und Kurt schreibt aus Magdeburg: »Betriebe liegen still, selbst bei mir in der Kriegsamtstelle sind ein Drittel der Beamten krank, und viele Fälle verlaufen tödlich.« Was sie erleben, ist die »spanische Krankheit«, eine von Gibraltar kommende Influenza-Epidemie, durch die 1918/1919 weltweit 20 Millionen Menschen sterben. In Deutschland sind es fast 300 000 Tote. Ganze Familien werden ausgelöscht, als ob der Krieg nicht gereicht hätte. Da muß man sich hineinversetzen, wie einer die verheerenden Rückzugsgefechte in Flandern oder an der Saar übersteht, und zu Hause sind Eltern und Geschwister an Grippe eingegangen. So ist das, wenn der Herrgott zuschlägt.
    »Arglos« ist wohl die richtige Beschreibung für HG in der Ukraine. Er kapiert nichts von dem Tumult, der um ihn her entbrannt ist, nicht, wer in den Bandenkämpfen gegen wen und warum zugange ist. Kann er ja

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