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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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Denn zu Hause sind gerade acht Hühner an Cholera eingegangen – was es alles gibt! Die restlichen acht haben sie schnell geschlachtet, aber Gertrud traut sich nicht, sie der Familie zum Essen anzubieten: »Gehen Cholera-Bazillen beim Kochen ein?«
    HG entzieht sich der Antwort auf eine so schwierige Frage, verspricht aber, Eier zu schicken, wenn er denn eine Kiste auftreiben kann. Er muß sich erst mal zurechtfinden, was ihm schwerfällt in einem gottverlassenen Kaff, wo er umgeben ist von Dorfbewohnern, die »diesen hinterlistigen slawischen Ausdruck im Gesicht haben«. Seine Vorgesetzten haben ihn freundlich empfangen, »sogar mit Anerkennung und Respekt« wegen der Geschichte mit dem Schützen Vitt. Die Angelegenheit sei aus seinen Papieren nunmehr vollständig getilgt.
    HG ist deswegen erleichtert, aber er fühlt sich nicht wohl: »Das hier ist wirklich eine üble Art von Krieg.« Deutsche Soldaten auf den Straßen werden meuchlings erschossen, und die Truppen können sich nur noch im Geleitzug bewegen, weil die Mehrheit der Bevölkerung die Fremden keineswegs als Verbündete, sondern als Besatzungsmacht betrachtet. HG sitzt mit seiner Schwadron weitab von jeder Zivilisation unter glühender Sonne, geht täglich mit den Pferden schwimmen in einem nahe gelegenen Fluß – »die Tiere wußten zu Anfang gar nicht, warum sie da rein sollten. Jetzt wollen sie gar nicht wieder raus« –, langweilt sich und hat Heimweh: »Ich habe jetzt dauernd eine unsagbare Sehnsucht nach Hause. Das ist ja unmännlich (!), man sollte es deshalb gar nicht schreiben und kräftig dagegen ankämpfen.«
    Außerdem quält ihn der Tod des Schützen Vitt. »Äußerlich ist die Geschichte ja nun erledigt«, schreibt HG an Mutter Gertrud, »nun muß ich auch innerlich damit fertig werden.« Doch Gertrud antwortet: »Daß die unangenehme Sache vom 22. April nun ganz aus der Welt geschafft ist und Dir sogar noch Lob eingetragen hat, hat uns sehr, sehr gefreut, lieber Junge. Nun kann es Dir gar nicht mehr schwer werden, auch innerlich damit fertig zu werden, wenn Du Dich auf den richtigen militärischen Standpunkt stellst und Dein Gefühl unter die Pflicht zwingst.«
    Was für ein Quatsch! Heißt der »richtige militärische Standpunkt«, daß einer sich gefälligst nicht so anstellen soll, wenn er jemanden erschossen hat, der im Suff ein Schwein geklaut hat? Verbietet die »Pflicht«, sich Gedanken zu machen, was der eigene Anteil ist an diesem Verhängnis? Kurt und Gertrud sorgen sich um mögliche äußere Folgen von HGs »Mißgeschick«: Kriegsgericht, Karrierestop – was immer. Den Tumult in seinem Innern können oder wollen sie nicht sehen. Als es zum ersten Mal wirklich ernst wird in seinem Leben, verweigern sich beide Eltern ihrem hilfesuchenden Sohn. HG bleibt mit dem Schützen Vitt allein.
    Das wird ihn in den heißen Nächten belastet haben. HG kann nicht schlafen in der drückenden Luft, die ständige Alarmbereitschaft wegen marodierender Banden strengt an, seine Dragoner sind nervös. HG hat »ein altes Harmonium aufgetrieben, das nur einen großen Nachteil hat: Sämtliche Cs und Gs fehlen, die Tasten sind heraus gebrochen, und man muß die Töne immer dazwischen singen.« Ich stelle mir das gern vor, wie HGs Singsang durch die Hitze der ukrainischen Nacht klingt – Harmonium an sich ist ja schon heftig. Not schult: HG spielt nur noch in A-Dur, da braucht er keine C’s und G’s, und bald kann er auch schon »Nun muß sich alles, alles wenden« intonieren.
    Darauf hoffen inzwischen alle. HG kommt mit der diffusen Atmosphäre in seinem Gastland schwer zurecht. Gertrud beschwört zwar ihrer aller Tapferkeit – »Deutschland wird doch jetzt nicht noch versagen«, aber sie räumt ein: »Wir sind alle manchmal müde!« Kurt grämt sich über die »hungrige, erschöpfte, unterernährte Bevölkerung« und stellt fest: »Geschäftlich sieht es flau aus. Wir haben keine Rohstoffe mehr, und so wird uns der Krieg jetzt auch noch geschäftlich treffen. Ich hoffe nur, daß wir nicht auch noch mit Curaçao böse Überraschungen erleben. Das würde mich sehr treffen.« Er hat die I. G. Klamroth-Anteile rechtzeitig ins neutrale Holland transferiert, doch in dem Konsortium sitzen auch Engländer und Amerikaner, »und wer weiß, wie die sich verhalten werden«. Wehmütig erinnert sich Kurt: »Weißt Du noch, wie wir in Juist Krieg spielten? Das waren doch schöne Zeiten!«
    Die geschäftlichen Sorgen in Halberstadt veranlassen HG, dem Vater

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