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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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meinem, von unserem Blute. Sie vergossen dieses Blut für unser Vaterland. Wir gedenken ihrer aller mit Liebe, jedes einzelnen mit Treue und Stolz: Dulce et decorum est pro patria mori.« Über diesen Unsinn habe ich mich schon empört. Das lasse ich jetzt. Ich kann mir den Mann nicht anders backen als er ist.
    In Hamburg hat HG keine gute Zeit – wir sind immer noch im Jahr 1920. Er quält sich durch die Lehre bei der Firma Carl Prior, wo der cholerische Prokurist Michaelsen den jungen Expedienten als »rot verseucht« beargwöhnt, wenn der darauf aufmerksam macht, daß für sein Arbeitspensum ein zweiter Mann vonnöten sei. »Rot verseucht« im Zusammenhang mit HG ist wirklich ein Witz. Er selbst sieht das anders, sein Klassenbewußtsein und seine Ehre revoltieren, und er hat keine Lust, bis Mitternacht im Kontor zu hocken, weil Michaelsen findet, daß eine billige Arbeitskraft immer noch günstiger sei als zwei billige Arbeitskräfte. HG brüllt den Lehrherrn an – Auflehnung, na endlich! –, der brüllt zurück, HG schmeißt den Job hin, dem Lehrherrn fällt Vater Kommerzienrat ein, und er verlangt von Sohn Kommerzienrat zu bleiben. Das regelt sich dank Kurts tätiger Mithilfe, aber HG stapft in den Mittagspausen grimmig um die Alster und sinnt über einen neuen Beruf nach: Senator – das wär’ doch was!
    Er fühlt sich sowieso nicht wohl in seiner Haut. HG wird heimgesucht von einer schweren Akne, die er mit einer schmerzhaften Teufelskur bekämpft. Das kann zunächst mal ein ganz normales Elend sein. Bei HG vermute ich eher streßbedingt Psychosomatisches, obwohl das damals noch keiner so genannt hätte. Was also geht ihm unter die Haut? Gewiß zerbeult ihm der Ärger in der Firma das Gesicht und zwar so scheußlich, daß selbst Kurt den Zusammenhang erkennt und HG ermahnt, sich einen kleinkarierten Prokuristen nicht so zu Herzen zu nehmen.
    Doch vor allem wird HG vom Tod des Schützen Vitt verfolgt. Der Gerichtsoffizier des Bezirkskommandos Halberstadt schickt ihm eine Vorladung »zur Vernehmung in Sachen Vitt«, und HG werden die Knie weich. »Ich konnte nicht mehr klar denken und mein Herz raste wie toll«, schreibt er an seine Schwester Annie. Kurt geht da hin, bekommt Akteneinsicht und signalisiert Entwarnung. HG sei lediglich als Zeuge gefragt. Der Vater des Franz Vitt habe »Kriegseltern-Versorgung« beantragt, und HG solle mitteilen, ob Schütze Vitt hinlänglich betrunken gewesen sei für die Zurechnungsunfähigkeit nach § 51 StGB. Kurt an HG: »Das hat gar nichts mehr mit Dir zu tun. Du stehst in den Akten blendend da, alle Vorgesetzten sind voll des Lobes.« Aber das ist es ja nicht. HG an Annie: »Dieser Vorfall läßt mich nicht los. Ich fühle mich schuldig, und diese Schuld ist mit offiziellen Entlastungen nicht getilgt.«
    Wenig später bekommt HG einen Brief von Erich Hoffmann. Das ist der baltische Medizinstudent, der in Estland als Dolmetscher in HGs Schwadron dabei war und an den HG sich »damals sehr angeschlossen hatte. Er war es, den ich in Sallotak bei der Sache Vitt mithatte, und der mir so quasi das Leben rettete, indem er mir den zweiten Marodeur vom Halse hielt.« Jetzt braucht Hoffmann Geld. Aus den Nachkriegswirren im Baltikum hatte es ihn nach Deutschland verschlagen, er macht in Königsberg sein Examen als Arzt und kann im Schluß-Semester nicht mehr nebenher verdienen. HG bittet Kurt um Hilfe: »Ich gebe mir Mühe, diese Sache möglichst rein geschäftlich zu behandeln; ginge es nach meinem Gefühl, dann würde ich meinen alten Kameraden sofort unterstützen, wenn ich die Mittel dazu hätte.«
    Kurt schiebt wieder einen Riegel vor: »Es wird sich ja doch um eine ansehnliche Summe handeln, die man nicht einmal bei der Steuerdeklaration absetzen kann. Man muß sie also mit dem Privatvermögen versteuern, obwohl man nicht weiß, ob sie je zurückgezahlt werden wird. Schenkt man aber die Summe, so muß die bei Nicht-Verwandten recht hohe Schenkungssteuer von Hoffmann bezahlt werden.« HG an seinen Freund Siegfried Körte, einen Regimentskameraden, der den Dolmetscher Hoffmann in Estland auch erlebt hatte: »Ich würde ihm so gern die Unterstützung geben. Das wäre, als wenn ich etwas gut machen könnte bei Vitt. Auch der Vater von Vitt beschäftigt mich. Ich hoffe, er bekommt wenigstens die Kriegseltern-Versorgung.« Und ein paar Absätze später heißt es: »Mein Gesicht ist wieder so entzündet und geschwollen, ich wünschte, diese Sache würde mich nicht immer wieder

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