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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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konzentriert auf seine Frau und seine Kinder als auf seine Firmen, was allen nicht gut bekommen ist in der Inflation. So richtig abgeschreckt ist Else aber nicht: »Das Endziel der Frau ist Heiraten, Kinderkriegen, alles andere ist unnatürlich, Bluff, Ersatz, Quatsch! Doch den Mann, der zu einem paßt, zu finden, ist ja nicht einfach. Mir ist es gelungen!!!« Die Wartezeit allerdings so geduldig durchzustehen, wie das ihre Schwiegermutter Gertrud seinerzeit vorgeführt hat, fällt Else schwer. Im Goldschnitt-Buch jammert sie: »Lieb, reise nicht wieder so weit weg von mir. Liebster Lieb, ich bin ja gar nicht so stark. Ich habe nur Sehnsucht und den einen, einen Wunsch: wärst Du doch wieder hier!«
    Aber HG ist auf Curaçao. Oder in Venezuela. Oder auf einem Schiff. Jedenfalls wirklich weit weg. Er schreibt ein sorgfältiges Reisetagebuch, 153 Seiten Schreibmaschine, plötzlich kaum noch blumig, und ich stelle fest, daß er genau guckt. Er versucht sich in der Beschreibung von Wolkenformationen – »es muß möglich sein, dafür Worte zu finden, ohne in Bilder auszuweichen« –, er versucht dasselbe mit Wellen und Gischt, und er macht sich an die Farben der Nacht: »Kohlschwarz, schieferschwarz, teerschwarz, samtschwarz, dabei die Lichtstreifen im Schraubenwasser – Meerleuchten«. Fast vier Wochen dauert die Reise nach Curaçao mit einem Frachtschiff, HG macht sie zusammen mit Theo Delbrück, Elses verläßlichstem Jugendfreund, der ihr später viele Jahrzehnte lang von Holland aus zur Seite stand. Ich erinnere mich, daß er mir beibrachte, wie man Austern ißt, auf einer Straße in Amsterdam im Frühling. Da war ich vielleicht 17.
    Curaçao muß ein trostloses Fleckchen Erde gewesen sein, damals jedenfalls, eine Kaktus-Kolonie in den niederländischen Antillen mit wunderlichen Weißen, Gestrandeten aus aller Welt, und mit einer schwarzen Bevölkerung, die HG Nigger nennt und die Papiamento spricht, wofür es keine Schrift gibt. HG beschreibt das vorurteilsfrei und neugierig, nur ein Schwuler überfordert seine Toleranz: »Der legt Puder auf wie Marie Antoinette, und bei dieser Hitze zeichnet der Schweiß bizarre Muster in sein Gesicht.« Der deutsche Konsul – »der ist wahrscheinlich hier vergessen worden!« – erhebt als Gastgeber sein Glas auf die holländische Königin und gleich darauf auf Wilhelm II., der bei ihr Unterschlupf gefunden hat.
    HG wird hier und in Venezuela herumgereicht von einer Familie zur nächsten. Gouverneur, Bürgermeister, US-Generalkonsul (Kriegsgegner!), Handelsvertretung Spaniens, venezolanische Ölbarone, Hamburger Schiffsagenturen – es funktioniert ein Netzwerk in Gestalt von Empfehlungsschreiben, telegraphischen Vorankündigungen seines Besuches von Station zu Station, und wo er hinkommt, haben die Leute – das ist das Erstaunlichste – Zeit für ihn. Sie bieten ihre Häuser an als sein Zuhause, besorgen Autos und Angestellte, die HG in der Gegend herumfahren. Erinnern wir uns: Wir sind im Jahr 1921, Deutschland hat den Krieg verloren und seither wenig zu bieten, und der junge Mann schon gar nicht. Doch. Er hat seinen Namen, und Kurt ist in diesen Gefilden 1912 auf einer ähnlichen Tour gewesen. Das ist neun Jahre her, damals kam das Phosphatgeschäft zustande. Von dergleichen kann jetzt nicht die Rede sein, aber Kaufleute denken langfristig. »Des Vaters Segen baut den Kindern Häuser«, zitiert HG das Alte Testament.
    Er hat ein Sammelsurium an Lesestoff mit auf die Reise genommen, zum Beispiel englische Jugendliteratur zum Aufpolieren der Sprache: »Little Lord Fountleroy« von Frances Burnett, Alfred Mason’s »Four Feathers«, Anfang des Jahrhunderts ein Riesenerfolg, dazu »Kidnapped« von Robert Stevenson und den wundervollen Schmöker »The Scarlet Pimpernel« der englischen Ungarin Emmuska Orczy. Ludendorffs »Kriegserinnerungen« liest HG gleich zweimal und schenkt sie anschließend dem Gouverneur von Curaçao. Über die »Vorgeschichte zum Weltkrieg« des erzkonservativen Deutschnationalen Karl Helfferich ärgert er sich – »das kenne ich alles schon«. Dazwischen sind Dostojewskis »Brüder Karamasow« dran, Hermann Graf Keyserlings »Reisetagebuch eines Philosophen«, die metaphysische Beschreibung einer Weltreise, und Hofmannsthals Jugendwerk »Der Thor und der Tod«. Arbeit soll auch sein: Handelsgesetzbuch, Leitfaden für das Studium der Nationalökonomie, »Briefe eines Bankdirektors an seinen Sohn« von einem gewissen Argentarius, und dann

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