Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)
Tagein, tagaus rief sie mich an und beschwor mich, die Stelle anzunehmen.
Einmal stand sie bei mir vor der Tür und flehte mich an. Ich müsste mich nicht als Mutter fühlen, mich nur um Fred sorgen. Um dich würde sie sich kümmern. Keine Verantwortung für mich. Keine Belastung. Kein Stress. Und trotzdem wäre ich natürlich stets willkommen, dich mal zu wickeln, wann immer mir danach wäre. Sie versicherte, du wärst ein sehr schöner Sohn, ein prächtiger Sohn. Und sie sagte noch etwas, das mir bis heute im Gedächtnis geblieben ist: kein Klöble. Als ich sie fragte, was das sei, ein Klöble, schüttelte siebloß den Kopf – und sie konnte sehr überzeugend den Kopf schütteln – und meinte: Ein andermal.
Am Tag darauf entschloss ich mich, bei euch anzufangen. Ich glaube, letztendlich war es keine Entscheidung für euch, sondern eine dagegen, euch nicht zu helfen.«
Albert wollte ihr kein Wort glauben. Britta Grolmann hatte genügend Gründe, ihn anzulügen. Aber sosehr er nach Anzeichen dafür suchte, diesmal zitterte ihre Stimme nicht. Ein leeres Gefühl der Enttäuschung breitete sich in ihm aus. »Wie lange sind Sie in Königsdorf geblieben?«
»Keine drei Wochen.«
»Was ist passiert?«
»Als ich bei euch anfing, habe ich versucht, Fred davon abzuhalten, zur Bushaltestelle zu gehen. Ich meine, manchmal regnete es in Strömen. Mir wollte nicht einleuchten, dass er dort sinnlos herumstand, Autos zuwinkte und sich eine Erkältung holte. Außerdem kam das bei den meisten Leuten im Dorf weniger gut an. Die hielten ihn sowieso für nicht ganz richtig im Kopf, für unberechenbar. Held hin oder her. Eltern ließen ihre Kinder nicht mehr allein auf den Bus warten. Gesagt hat natürlich keiner was. Standen alle nur herum, mehr Leute als mit dem Bus fahren wollten, und beobachteten Fred aus den Augenwinkeln. Fred freute sich darüber.
Fast doppelt so viele Menschen sind beim Bus, und wenn wieder was passiert, dann kann ich doppelt so viel Held sein!
Ich brachte es nicht übers Herz, ihm die Wahrheit zu sagen.
Stattdessen versuchte ich, ihn abzulenken. Lud ihn ein, zusammen mit mir das Frühstück zuzubereiten oder Schuhe zu polieren oder Unkraut zu jäten. Für eine Weile lief das ganz gut. Er ist nicht so ungeschickt, wie man meinen könnte. Dank ihm kam ich schneller voran. Aber nach knapp einerWoche ohne Ausflüge zur Bushaltestelle wollte Fred morgens nicht mehr aufstehen. Es war nichts zu machen. Ich lockte ihn mit seiner Leibspeise, Pfannkuchen mit Himbeermarmelade. Ich versprach ihm, er könnte die Ecken in der Stube staubsaugen – er mochte das Geräusch, wenn der Staubsauger Dreck einsog. Ich bot ihm sogar an, aus den Lexika vorzulesen. Keine Chance. Er wühlte sich in sein Bett und duschte nicht mehr und ließ sich meist nicht mal überreden, was zu essen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, er litt unter einer Depression.
Erst als Anni ihn aus dem Bett prügelte, wortwörtlich, und ihn zwang sich anzuziehen und mit ihm zur Bushaltestelle stapfte, erst danach wurde es wieder besser. Sie deutete mit dem Zeigefinger auf mich, ich solle mich nicht mehr einmischen. Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich es nur gut gemeint hatte. Darauf meinte sie, einzig und allein sie wisse, was gut für Fred sei. Eingebildete Tante. Ganz falsch lag sie damit aber nicht.
Nach zwei, drei Tagen war Fred zurück im alten Rhythmus, zählte grüne Autos und hatte sein Grinsen wiedergefunden. Es hätte nichts Schlimmeres passieren können. Wäre Fred nicht wieder glücklich geworden, dann hätten wir nicht so viel Spaß zusammen gehabt, und hätten wir nicht so viel Spaß gehabt, dann …
In den paar Tagen, in denen ich bei ihnen war, verbrachten wir sehr viel Zeit miteinander. Fred nahm mich mit auf einen Spaziergang und diktierte mir grüne Autos, die ich in seinem Kalender notierte. Oder er hob mich, wenn ich das Oberlicht der Fenster putzte, einfach auf seine Schultern, als hätte ich nichts auf der Hüfte. Oder er stellte mir einen Schimmel vor, den er oft besuchte und mit frischem Unkraut fütterte.
Und einmal, an einem Donnerstag, ich weiß noch genau, es war ein Donnerstag, kurz vor Ostern, da zeigte er mir seinen Liebsten Besitz. Es war dunkel und wir saßen in seinem BMW, dem Flitzer, wie er ihn nannte, der schon ziemlich ramponiert war. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie er heute aussieht – wenn er überhaupt noch existiert. Wie auch immer, Fred zeigte mir eine
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