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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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Blechbüchse, in der er einen Klumpen Gold aufbewahrte. Ein enormes Ding. Er hielt ihn gegen das Licht, vorsichtig, wie ein Frühchen, und er wirkte so glücklich darüber, dass er ein Geheimnis mit mir teilen konnte. Ich genoss das, diese Nähe. Fred gab mir das Gefühl, der einzige Mensch auf dem Planeten zu sein. Ob das Gold echt war, interessierte mich nicht. Auf mich wirkte es echt. Natürlich hätte ich Anni fragen können, aber nach dieser Nacht gab es dazu kaum mehr Gelegenheit.
    Ich hätte mich dort nicht so gut einleben sollen, ich hätte nicht glauben sollen, dass Annis Haus irgendwie auch mein Haus ist. Ich hätte mir nicht vornehmen sollen, den Speicher aufzuräumen, und ganz bestimmt hätte ich nicht diese ledergebundene Mappe öffnen sollen. Anni sagte:
Ist alles bloß Fantasie.
Aber Fred, der uns gehört hatte, riss mir die Zeichnung aus der Hand:
Das hab ich gemalt, das ist alles echte Fantasie!
Auf den ersten Blick zeigte das Bild bloß eine Hand. Aber damals machte es mir solche Angst, als wäre ich wieder vier Jahre alt und würde allein im Dunkeln liegen und Geräusche draußen vor meinem Fenster hören, ich konnte es nicht lange ansehen, mir wurde schlecht, ich fragte, was mit dieser Hand war, was dieses Bild zu bedeuten hatte, und er sagte:
Das ist mein Liebster Besitz!
Anni, die dich im Arm hielt, ging dazwischen.
Er ist verwirrt
, sagte sie, legte dich in deine Krippe und wollte ihm die Zeichnung wegnehmen. Und da schluger ihr ins Gesicht, er schlug ihr mit voller Wucht ins Gesicht, und sie fiel. Sie knallte auf den Boden. Und Fred blieb einfach stehen und sagte nichts und atmete so laut, als wolle er die ganze Luft aus dem Zimmer saugen. Und ich bewegte mich nicht, ich wagte nicht, ihn anzusehen, ich hörte nur sein Atmen und schloss die Augen. Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging, bis ich sie wieder öffnete. Fred war verschwunden. Seine Zeichnung lag am Boden. Anni hob sie auf, und da tropfte aus ihrer Nase Blut aufs Papier.
Nicht schlimm
, sagte sie. Ich wickelte eine Packung Tiefkühlgemüse in ein Geschirrtuch, gab es ihr und rief einen Krankenwagen. Als der Notarzt eintraf, behauptete sie, gestolpert zu sein. Unsere Blicke trafen sich. Sie lächelte. Ich sah weg. In dem Moment wurde mir klar, dass ich nichts, absolut nichts mit diesen Leuten zu tun haben wollte. Ich streichelte dir noch einmal über den Kopf und ging. Du musst gespürt haben, dass etwas nicht stimmte, du hast geschrien, wie du nie zuvor geschrien hattest. Ich kann das noch heute hören. Manchmal, wenn es mir nicht gut geht, ist es plötzlich wieder da, und das halte ich fast nicht aus. Ich war schon bei allen möglichen Ärzten, keiner kann sich das erklären. Das Einzige, was hilft, ist Zählen. Fred hat mir beigebracht, wenn ich nicht schlafen kann, soll ich mir einfach vorstellen, ich bin an der Bushaltestelle und zähle grüne Autos. Und genau das mache ich, wenn das Geschrei in meinen Kopf dringt. Ich zähle und zähle und zähle.«

Oxymoron
     
    Albert döste in weinrotem Licht. Die Rotbuche, die ihm Schatten spendete, war der letzte Baum auf dem Königsdorfer Friedhof. Alle anderen hatte die Gemeinde aus Platzmangel fällen lassen.
    Ihm lief Schweiß über die Stirn. Auf Alberts Brust bewegte sich mit jedem Atemzug der Schminkklappspiegel, den er gern geöffnet hätte, um mit dem roten Haar über die Narben an seinen Händen zu streichen. Aber das war ihm zu riskant. Ein Windstoß, und das Haar wäre verloren. Lieber zupfte er an seinem Ohr.
    Obwohl sich die
Rote Frau
als Sackgasse erwiesen hatte, wollte er den Schminkklappspiegel nicht aufgeben. Das Haar konnte ja dennoch von seiner richtigen Mutter stammen.
    Zu seiner Rechten und Linken standen Grabsteine aus schwarzem Marmor, die so makellos blitzten, als würden sie täglich poliert werden. Franz Stöger und Herbert Älig, beide dieses Jahr verstorben. Stögers Grab war noch überhäuft mit Blumensträußen und -kränzen; auf einem der Trauerbanner stand schwarz auf blassblau:
Warum?
Eine idiotische, da leicht zu beantwortende Frage, fand Albert. Betriebsunfall, Cholesterinablagerungen, Autokarambolage, Hodenkrebs   –
darum
. Oder sollte
Warum
ausdrücken:
Warum ausgerechnet jetzt? Warum gerade zwei Tage nach seiner Pensionierung? Warum auf unserer Kreuzfahrt zur goldenen Hochzeit? Warum bei einem Streit? Warum nicht später? Warum erst jetzt?
    Auch darauf gab es eine schlichte Antwort:
Weil
. Diese ganze Sinnsuche ging Albert bereits auf die Nerven,

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