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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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Königsdorf sein. Sie hat Lust, mit Fred und mit mir zu unserer Familie zu ziehen, also auch zu meiner Mutter, und die Möbelpacker müssen ihr helfen, weil ich nichts tragen kann, dafür bin ich zu klein, und weil sie nichts tragen kann, dafür ist sie viel zu alt. Und Fred darf nichts tragen, weil er eben Fred ist. Aber einer von den Möbelpackern ist auch wie Fred und knallt mit einer langen, goldenen Stange, die wie ein Zauberstab aussieht, gegen das Fenster und Anni gibt das so einen Schock, dass sie extrem wütend wird und das macht ihr Herz auch nicht mit.
    Oder:
Ein paar Kretins wie die hier im Kloster werfen Steine und einer davon fliegt durch Annis Fenster, aber die ist keine, die sich so was gefallen lässt, das ist klar, und sie nimmt den Stein und will ihn zurück auf die Straße werfen. Sie hebt den Arm. Sie kann aber nicht. Sie hat keinen Schiss, das ist es nicht, sie spürt einen Stich in ihrem Herz. Sie kann gar nichts mehr machen. Sie geht langsam zu Boden wie eingeschläfert.
    Oder:
Anni nimmt Tabletten, weil das alles nicht leicht ist, mit Fred, das machen Leute eben, manche sagen das sogar dem Pfarrer im Beichtstuhl, sie nehmen wahnsinnig viele Tabletten, sogar Leute wie Anni, so viele, dass sie sich fühlt, wie man sich fühlt, wenn man den Wein vom Altar heimlich trinkt. Sie will nach dem Himmel greifen. Sie schlägt mit irgendwas das Fenster ein, damit sie den Himmel packen und in ihre Wohnung ziehen kann. Das gibt’s ja. Sie wickelt sich in die Wolken ein und schläft ein und wacht nicht mehr auf.
    Oder:
Anni geht mit Fred und mir auf eine Reise. Sie möchte aber was mitnehmen, damit sie sich immer an Königsdorf erinnern kann, wenn sie will. Sie nimmt also das Fenster mit, weil das der Blick nach draußen war, der wichtigste Blick in
einem dunklen Bauernhaus. Sie packt die Glasscherbe in ein paar Küchentücher und Handtücher und das macht sie nicht besonders clever, sie schneidet sich und blutet, blutet richtig viel, und die ganze Scheibe wird rosa und Anni ganz weiß und ihre ganze Farbe und ihr Herz sind jetzt in dem Fenster.
     
    »Du bist noch lange nicht tot«, sagte Albert.
    »Ich habe nur noch zwei Finger.« Fred fläzte auf der roten Chaiselongue und zupfte Fussel von seinem Trachtenhut. »Das ist weniger als viel.«
    »Finde ich nicht.« Albert klappte das Heft zu. »Weißt du, das sind mehr als tausendvierhundert Stunden!«
    Fred ließ seinen Trachtenhut fallen.
    »Rund neunzigtausend Minuten.«
    »Das ist viel«, sagte Fred und kostete die Zahl: »Neunzigtausend.« Er bückte sich nach seinem Trachtenhut. Albert schlug wieder das Aufgabenheft auf.
    »Sind es immer noch neunzigtausend?«
    »Ja«, sagte Albert, ohne aufzuschauen.
    »Und jetzt?«
    »Jetzt immer noch.«
    Ein dumpfer Schlag kam aus der Küche. Fred und Albert sahen sich an.
    Dann lief Fred in die Küche. Albert legte sein Notizheft weg und folgte ihm. Nachdem sie ein paar Minuten lang ohne Erfolg nach der Ursache für das Geräusch gesucht hatten, fiel Alberts Blick auf das Küchenfenster; er eilte nach draußen, um das Haus herum, und fand ein Rotkehlchen, das im Gras vor dem Fenster lag; es zuckte noch mit Beinen und Flügeln, und sein Schnabel öffnete und schloss sich lautlos. Fred schobihn beiseite. Mit beiden Händen hielt er einen Spaten, den er auf das Rotkehlchen niedersausen ließ. Der letzte Ton des Vogels war hoch und eng.
    »Und jetzt? Sind es jetzt immer noch neunzigtausend?«, fragte Fred, als wäre nichts gewesen.
    »Warum hast du das getan?«
    »Was?«
    »Warum hast du den Vogel erschlagen!«
    »Der hat sich gefreut.«
    »Vielleicht war es nicht so schlimm, vielleicht hätte er es geschafft.«
    »Mama sagt, Vögel, die nicht fliegen, können nicht fliegen. Mama sagt, ich bin der größte Vogel der Welt.«
    »Wie bitte?«
    Fred sprach lauter:
»Ich bin der größte Vogel der Welt!«
    »Nächstes Mal warten wir erst mal ab, bevor wir ein Tier umbringen.«
    »Okay, Albert«, sagte Fred und senkte den Kopf. »Bist du   …«
    »Nein«, sagte Albert, »ich bin nicht böse.«
    Fred schlug vor, das Rotkehlchen im Garten zu beerdigen, neben einem Vogelbeerstrauch, weil es dort viel Besuch von seinen Freunden bekäme. Eine ambrosische Sache.
    »Tut mir leid, Vogel«, sagte Fred und bekreuzigte sich vor dem Grab.
    Albert schloss die Augen.
»Ich lass mich von den Winden heben,
Ich liebe es, mit Flügeln schweben
Und hinter jedem Vogel her.
Vernunft?   – das ist ein bös Geschäfte:
Vernunft und Zunge

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