Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)
Armen und klappte meinen Kopf drauf. So klein wie möglich wollte ich werden, damit mich niemand aufspüren konnte, und ich dachte, würde ich mich nur genügend
anstrengen, könnte ich vielleicht in mich selbst kriechen und an einen besseren Ort gelangen. Bis tief in die Nacht kratzte ich an meiner Wunde und buchstabierte ein Wort nach dem anderen: H-e-i-ß, B-r-a-n-d, F-e-u-e-r, F-r-e-s-s-e-n, R-a-u-c-h, J-o-s-f-e-r, J-a-s-f-e, J-o-s-f-e-r …
Es half kaum.
Der Westwind trug Qualm und Ascheflocken zu mir. Mit in den Nasenlöchern steckenden Zeigefingern schlief ich ein.
In der Nacht schlenderte ich durch ein brennendes Haus. Ich wusste, dass ich träumte, da waren keine Geräusche, die Decke stürzte ein, der Kamin explodierte – doch nichts davon erschütterte die Stille. Ruhig schritt ich von einem Zimmer zum nächsten und erreichte endlich meins, steuerte auf das Bett zu, legte mich zwischen meine Eltern und deckte mich zu.
»Ich liebe euch«, sagte ich zu ihnen und wunderte mich, dass sie lebten, und noch mehr, dass sie mir nicht antworteten.
»Ich liebe euch«, wiederholte ich.
Meine Eltern schnarchten.
»ICHLIEBEEUCHLIEBEEUCHLIEBEEUCH!«
Jemand oder etwas stupste mich. Ich fuhr hoch, packte ein glattes, schlankes, nach Leder riechendes Etwas und sah ein Mädchen, dessen gewichste Stiefel bis übers Knie reichten.
»Du bist der Julius Habom«, sagte sie, »der bist du doch.«
Mina Reindl war in meinem Alter, aber mindestens einen Kopf größer als ich. Ihr Haar schimmerte mal grau, mal blond, ihre gebräunte Haut erinnerte an den Farbton von lackiertem Holz, und während sie mich musterte, blinzelte sie nicht ein einziges Mal. Typisch Klöble. Vor ein paar Monaten
war ihr Vater einem tollwütigen Fuchs zum Opfer gefallen. Seither ging das Gerücht um, ihre Mutter, die Bäckersfrau, habe eine Schwäche für einen Bestatter von außerhalb – gewisse Schreie, nachts, belegten das angeblich.
Mina stampfte mit dem Fuß auf, ich umklammerte immer noch ihr Bein.
»Ich mag, wenn du mein Bein festhältst«, sagte sie. »Du kannst auch meinen Kopf festhalten. Wenn du willst.«
Ich ließ los.
»Ich halte meine Beine auch manchmal fest. Aber du hältst viel besser fest. Du hast schöne Augen. Hast du hier geschlafen? Hier draußen gibt’s tollwütige Bären und Wölfe und …«
»Füchse.«
»Ja, genau!« Sie lächelte mich gutmütig an, und das entspannte mich ein wenig. Mein Magen grummelte.
»Warum machst du das Geräusch?«
Ich zuckte mit den Achseln. »Du riechst nach Brot.«
Kurze Zeit später futterte ich Semmeln, in die Speckwürfel eingebacken waren. Mina hatte sie aus der Bäckerei geschmuggelt.
»Komm mit. Wir besuchen deine Schwester«, sagte Mina.
»Nein, da gehe ich nie wieder hin.«
»Ich bringe dir aber jetzt nicht jeden Tag Semmeln. Das ist schlecht fürs Geschäft.«
»Brauchst du nicht.«
»Du darfst aber nicht verhungern. Du hast schöne Augen. Nimm noch eine Semmel. Und dann besuchen wir deine Schwester. Sie hat welliges Haar.«
»Ich bleibe hier.«
Mina fummelte mit einem Zahnstocher zwischen ihren faulig-schwarzen Zähnen herum. Wegen der vielen Mohnspeisen
in Segendorf stellte der Schreiner Huber Zahnstocher in allen Größen her.
»Ich muss wieder heim. Sonst wird meine Mutter böse. Sie ist Bäckermeisterin. Und Witwe!«
»Ich weiß.«
»Weißt du auch, dass sie den Wickenhäuser mag?«
»Wickenhäuser?«
»Ein Wickenhäuser ist ein Bestatter.« Mina stach sich ins Zahnfleisch. »Aua! Das darf ich nicht verraten. Jetzt darfst du es auch nicht verraten, ja?«
»Das kommt darauf an.«
»Was kommt an? Ich hole keine Semmeln mehr. Das ist schlecht fürs Geschäft.«
»Denkst du, du könntest deine Mutter herbringen?«
»Dann musst du noch mal mein Bein festhalten.«
Mina streckte ihr linkes Bein aus und ich umschlang es mit beiden Armen.
»Magst du meine Stiefel? Das schöne Leder ist vom Jäger Josfer.«
Ich ließ nicht los. Ich ließ nicht los, drückte nur noch fester zu, schloss die Augen, schmiegte meine Wange an das Leder und atmete tief ein.
»Das kannst du sehr gut«, urteilte Mina. Dann ging sie zurück ins Dorf.
Mit voranschreitender Stunde bewegte sich der Schatten der Eiche auf dem Wolfshügel wie ein Uhrzeiger. Über die Kuppe hinweg spähte ich hinüber zum Dorf, ich befürchtete, Minas Mutter könnte mein Versteck dem Bürgermeister oder, noch schlimmer, dem Pfarrer Meier verraten haben.
Niemand kam. Am Abend wurde die
Weitere Kostenlose Bücher