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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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Sonne vom Moor verschluckt, und ich dachte, Mina hätte mich vergessen, rollte
mich wieder zusammen und versuchte, mich zu erinnern, was mein Vater mir über die Genießbarkeit von Moos erzählt hatte, als jemand rief: »Habom! Gleich kommen wir!«
    Mina rannte auf mich zu. Ihr folgte eine schnaufende, für eine Frau großgewachsene und für eine Bäckermeisterin schlanke Gestalt, die sich am Stamm der Eiche abstützte, nach Luft rang und Mina einen vorwurfsvollen Blick zuwarf. »Ich hab gesagt: leise!«
    »Aber Mama, er muss doch wissen, dass wir kommen.«
    Die Bäckermeisterin Reindl war außer Atem, ihre Erscheinung jedoch umso beeindruckender, wenn sie nicht hinter einer Verkaufstheke stand. »Ich kenne jemanden«, sagte sie, »der hat Arbeit.«
    »Ich lerne schnell«, sagte ich wahrheitsgemäß.
    »Wie alt bist du?«
    »Elf.«
    »Du müsstest weg von hier.«
    »Gut.«
    »Und deine Schwester?«
    Daran hatte ich noch nicht gedacht. »Kann sie mitkommen?«
    Die Bäckermeisterin schüttelte den Kopf. »Sie würde es nicht schaffen.«
    »Ich kann ihr helfen.«
    »Du wirst dir selbst helfen müssen. Also, immer noch sicher, dass du wegwillst?«
    Ich wollte todsicher sagen, nickte dann aber nur.
    »Ein Freund holt dich morgen ab.«
    Vielleicht, dachte ich, könnte ich diesen Freund davon überzeugen, dass er Anni und mich mitnahm.
    »Der Wickenhäuser ist zu Besuch«, flüsterte Mina.
    »Pscht!«, machte ihre Mutter. »Er schuldet mir noch einen Gefallen.«
    Mina kicherte. »Sie hilft ihm immer explodieren.«
    »Hältst du wohl den Mund! Was haben wir vorhin besprochen?«
    Mina verdrehte die Augen und sprach: »Das Schlafzimmer ist tabu. Man schläft im Schlafzimmer, man hört das Schlafzimmer, aber man redet niiiemals über das Schlafzimmer.«
    »Wissen Sie, wie es Anni geht?«, fragte ich.
    »Jemand wird sich um sie kümmern.« Minas Mutter streichelte ihr die grau-blonden Haare. »Komm, gehen wir.«
    »Und Habom?«
    »Was?«
    »Die Füchse. Die Wölfe! Und die Bären.«
    »Hier gibt es keine Wölfe oder Bären.«
    »Aber Füchse.«
    »Mina!«
    »Das ist in Ordnung«, erklärte ich Mina, »ich bin gerne allein«, und obwohl ich damit die Wahrheit sagte, war es an diesem Abend eine Lüge. Zum Abschied umarmte ich Minas Bein ein letztes Mal, und als sie sich bereits ein Stück entfernt hatten, rief ich ihnen hinterher: »Warum?«
    Die Bäckermeisterin hob die Arme mit den Handflächen nach oben.
    »Warum helfen Sie mir?«
    Mit dem Daumen deutete sie auf Segendorf hinter sich. »Ich kenne eine Bäckermeisterin, als die jung war, wollte sie immer aus diesem Schlammnest fliehen.«
    »Gehen Sie doch auch weg.«
    »Nein«, sie drückte ihre Tochter mit ihrem langen, sehnigen Arm an sich, »Mina gefällt es hier. Einer wie Mina
würde es woanders nicht gefallen.« Dann stapften sie gemeinsam den Wolfshügel nach unten. Mit jedem Schritt, den sie sich entfernten, nahm die Lautstärke von Minas Geplapper ab. »WasisteinSchlammnestWasisteinSchlammnestWasisteinSchlammnest?«
    Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar und Ascheflocken rieselten mir vom Kopf. Ich lief zum Moorbach, zog mich aus und sprang ins eiskalte Wasser und tauchte mehrmals unter und rieb mir mit einem Schieferstein die Haut leuchtend rot. Jasfe und Josfer waren in der Luft, sie bestäubten den Klatschmohn, tanzten in den höchsten Baumwipfeln, wurden von Spinnweben eingefangen, sickerten in die Erde ein, flogen durch die Atemwege der Segendorfer und drangen bis in ihre Lungen vor.

Auf Wiedersehen, Schlammnest
     
    Vor Sonnenaufgang weckten mich Spatzen, die sich im Geäst der Eiche um einen Regenwurm zankten. Ich fühlte mich gut, leichter. Der Nebel waberte noch um den Wolfshügel wie eine milchige Brühe und pirschte sich schüchtern an meine Füße heran, aber am Horizont graute es, die Dämmerung leuchtete in Vergissmeinnichtblau, Fliederlila und Löwenzahngelb. Und die Wunde an meinem Ellbogen juckte. Also hatte der Heilprozess begonnen, sagte ich mir.
    Ein pummeliger Mann mit einem feisten, krebsroten Gesicht kam auf mich zu, gekleidet in eine weinrote, samtene
Hose mit Bügelfalten und ein gleichfarbiges Jackett, das sich um seinen Bauch spannte. So hatte ich mir keinen Bestatter vorgestellt. In Segendorf gab es einen Totengräber, jener allerdings war hager und bleich, trug einen dreckstarrenden Mantel, aus denen seine Hände und sein Kopf hervorschauten wie aus einem Schildkrötenpanzer, und seine Gesichtszüge waren schon in jungen Jahren erschlafft,

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