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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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da eine Haarlocke. Das Mädchen, diese dritte Liebe in meinem Leben, von der ich noch nichts ahnte, begleitete seinen wiegenden Tanz mit gehauchter Stimme, und trotz der schiefen Töne klang es so ungeniert und heiter, dass ich den Drang verspürte, das Fenster aufzubrechen und Dekolleté und Hals und Lippen des Mädchens zu studieren, wie sie eine Musik erschufen, die klang, als gäbe es kein Falsch oder Richtig.
    Ich ging auf die Knie und drückte mein heißes Gesicht in taufrisches Gras. Gleich darauf rannte ich zur Felsklippe und blieb dort am Abgrund stehen, wo der Mönch vor vierhundertvier Jahren seinen Liebsten Besitz geopfert hatte. Im Unterschied zum Mönch schleuderte ich keinen Gegenstand von mir. Mein eigener Schrei, der von gewichsten Lederstiefeln, einem grellen Brautkleid, von Linsen und Spaziergängen um eine Holzhütte, selbstgedichteten Reimen, einsamen Witwen, maßgeschneiderten Anzügen und der Traurigkeit eines
Bestatters erzählte, stob durch den Ort, riss den Hufschmied Schwaiger aus unruhigem Schlaf, trieb Aschereste des Opferfestes vor sich her, drang in die Erde ein, zupfte an den Eichenblättern auf dem Wolfshügel und ließ ein Mädchen namens Anni Habom in ihrem Tanz kurz innehalten. Und als ich dem Abgrund den Rücken zukehrte, folgte ein Echo, zart und fein, aber so eindeutig klar, dass kein Zweifel bestand, hier war mein Zuhause.
    Es machte Pling.

TEIL V
     

Objects in the mirror
     
     
     

Violet
     
    Albert überquerte die Hauptstraße. Beim Rathaus bog er links ab und folgte einem schmalen, geteerten Spazierweg bergab, vorbei an einem Spielplatz und einer Wiese, auf der Fred und er früher oft gerodelt waren. Bald würde er die letzten Bauernhäuser hinter sich lassen und den Segelflugplatz erreichen. Der Gedanke machte ihn nervös. Bei dem Telefongespräch vor drei Tagen hatte sich Alfonsa geweigert, ihm zu erzählen, was sie über seine Mutter wusste. Dafür müsse er nach Sankt Helena kommen, hatten ihre letzten Worte gelautet, bevor Albert aufgelegt und es sofort bereut hatte. Seitdem war jeder Versuch, sie zu erreichen, gescheitert. In der Befürchtung, ihren Rückruf zu versäumen, hatte er das Telefon nicht mehr aus den Augen gelassen. Unter normalen Umständen hätte er sich längst auf den Weg nach Sankt Helena gemacht; um etwas über seine Mutter zu erfahren, wäre er freiwillig sehr viel weiter gereist. Was ihn davon abhielt: Fred ergriff Panik, wenn er in einen Bus steigen sollte; Albert führte das auf die traumatische Erfahrung des Busunglücks zurück. Und Albert selbst besaß weder Auto noch Führerschein. Also hatte er Violets Nummer gewählt, die einzige Nummer, die ihnen helfen konnte, sie beide schnell nach Sankt Helena zu bringen.
    Ihre Trennung lag bereits ein halbes Jahr zurück. Albert hatte nicht erwartet, dass der bloße Gedanke, sie wiederzusehen, erneut diese Sehnsucht nach etwas, das offiziell vorbei war, in ihm wecken würde. Es erinnerte ihn an die Warnung auf den Rückspiegeln amerikanischer Autos:
Objects in the mirror are closer than they appear.
    Dasselbe galt für diese Vergangenheit.
     
    Ein Jahr zuvor, im Herbst 2001, hatte Albert im Bus gesessen und Hinterköpfe gelesen. An einem guten, also betriebsamen Tag wäre die Auswahl deutlich größer gewesen. Mit dem mageren Angebot von damals hatte Albert so viel anfangen können wie mit dem deutschen Fernsehprogramm: Er schaltete hin und her. Der schief rasierte Nacken des Jugendlichen zu seiner Linken ödete ihn an   – kein billiger Friseur, keine sozial schwache Familie, eher das Gegenteil, da selbstgemacht (die Rasur), ebenso wie die lindgrün gefärbte Haarpracht, als Ausdruck rebellischer Gefühle; kam vermutlich gerade vom Herumhängen am Provinzbahnhof, Rentner erschrecken, mit Bierdosenweitwerfen und Küssen für den von Papa zu Weihnachten gekauften Schäferhund.
    Und die Frau, deren Dutt an ein pralles Brötchen erinnerte? Sie würde sich sehr, sehr freuen, wenn mal jemand neben ihr Platz nähme. Ihren Dutt lösen und das Haar frei baumeln lassen, das fände sie herrlich! Sie hatte es ja auch nicht einfach, mit zwei Kindern und dem Haushalt und ihrem Mann, den sie bei Telefongesprächen mit Freundinnen »den Alten« nannte, wie ihre Mutter das schon bei ihrem Vater getan hatte. Ich habe es wirklich überhaupt nicht einfach, sagte ihre Kopfhaltung, aber was soll ich tun, die Welt ist schlecht zu mir und ich gebe alles, aber niemand interessiert sich für mich, außervielleicht du,

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