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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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wäre noch unfreundlicher«, sagte er.
    »Aber ehrlich«, sagte sie.
    Albert zupfte an seinem Ohr. Er hatte nicht damit gerechnet, ziellos mäandernde Fred-Dialoge führen zu müssen, noch bevor er in Königsdorf eintraf.
    »Mein Name ist Violet.« Sie reichte ihm ihre linke Hand, er streckte die rechte aus und sie legte ihre auf seine. »Und du bist also Albert.«
     
    Albert dachte später oft, Violet und er wären nie zusammengekommen, wenn er alles, was er erst im Lauf der Zeit über sie erfuhr, von Anfang an gewusst hätte. Je mehr sie von sich und ihrem Leben, das so ganz anders war als sein eigenes,preisgab, desto größer wurde seine Angst davor, dass eine Beziehung mit ihr nicht funktionieren würde.
    Als Violet fünf Jahre alt war, baten ihre Eltern sie einmal, beim Spaghettiessen die Gabel zu verwenden, und sie erwiderte:
Messer, Gabel, Schere, Licht sind für kleine Kinder nicht
. Mit sieben verschaffte sie sich am Erwachsenentisch mit Honecker- und Franz-Josef-Strauß-Witzen Gehör. Drei Jahre später schrieb sie Briefe an George Bush und empfahl ihm, nicht in den Irak einzumarschieren. Violet umgab von Kindheit an eine selbstbewusste Aura, es war, als wüsste sie etwas, das sonst niemand wusste. Ihr erster Freund formulierte es so: »Glabst dua, dass dsunna bloß füa di afgeht?« Und degradierte sich damit zu ihrem ersten Ex. Violet war das Mädchen, das die Fragen stellte, die sich sonst niemand im Klassenzimmer auszusprechen traute. Sie war das Mädchen, das nie etwas tat, weil sie es konnte, sondern nur, weil sie es für richtig hielt. Sie war das Mädchen, von dem sich die Jungs einschüchtern ließen und von dem sie träumten. Sie war das Mädchen, das die Schule schwänzte, um gegen den dritten Golfkrieg zu demonstrieren. Sie war das Mädchen, dessen Leben, portioniert in Videokassetten, die Wandregale füllte.
    Ihr Vater, ein Fernsehproduzent, besaß schon 1980 eine Videokamera, klobig wie ein Sack Kartoffeln, die man schultern musste, verbunden durch ein schlauchartiges Kabel mit einem Rucksack, der zentnerschwere Batterien enthielt. Alles wurde dokumentiert. Insbesondere erste Male: Violet schläft auf dem Rücken. Violet wird gewickelt. Violet wird gebadet. Violet schreit. Violet isst Brei. Violet lacht. Violet spuckt. Violet schläft auf dem Bauch. Violet sagt etwas. Violet krabbelt. Violet stolpert. Violet geht. Violet spricht. Violet singt. Violet schimpft. Violet schläft auf der Seite. Violet schwimmt. Violetfährt Fahrrad. Violet fährt Ski. Violet geht zum Kindergarten. Violet geht zur Schule. Violet schläft auf der anderen Seite. Violet gewinnt den Buchstabierwettbewerb. Violet reitet. Violet ist verliebt. Violet liest. Violet hat ein Piercing. Violet hat eine Hautinfektion. Violet hat einen Freund. Violet hat einen Führerschein. Violet filmt. Violet schläft im Sitzen.
    Jede Sekunde ihres Lebens war wertvoll, die Kamera sagte ihr: Du bist kostbar   – die Liebeserklärung ihres Vaters. Die Kamera, das Zyklopenauge, wie er es nannte, war ein Teil von ihm. Für Violet nicht wegzudenken. Abends, nach der Arbeit, wenn er von strapazierenden Gesprächen mit einfallslosen Fernsehredakteuren nach Hause kam (an der Tür zu seinem Büro hing ein Plastikschild mit seinem Lieblingsspruch:
Früher wollte ich Redaktöhr werden   – heute bin ich einen
), nahm Violet auf dem Sofa zwischen ihren Eltern Platz und dann flogen sie ins archivierte Früher. Noch öfter sah sie sich die Aufnahmen alleine an, ließ sie im Hintergrund laufen, während sie Hausaufgaben erledigte oder einen Artikel für die Schülerzeitung verfasste, in dem sie über rassistische Äußerungen eines Lehrers informierte. All die Bilder. All die O-Töne . Violet war ihr eigenes Vorbild. Sie erwartete von sich nicht weniger, als sich so zu verhalten, wie Violet es tun würde. Wie es gewesen wäre, wenn sie sich nicht mehr ihrer selbst hätte versichern können, wusste sie nicht. Manchmal kam ihr der Gedanke, dass sie vielleicht nicht so war, wie sie gewesen wäre, wenn niemand sie aufgenommen hätte. Aber andererseits: Wer war schon so, wie er sein konnte?
     
    Als sie mit Albert einmal über ihre erste Begegnung sprach, wich sie seiner Frage aus, ob sie ihn von Anfang an gemocht hatte. Violet erklärte, sie glaube nicht an Liebe auf den erstenBlick. »Wie kann man jemanden lieben, den man gar nicht kennt?« Vom Konzept der Liebe sei sie nicht wirklich überzeugt. Liebe   – was war das denn? Sie würde sich gar nicht

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