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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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erst auf den Holzweg begeben, nach Definitionen zu suchen. Die zahllosen Zitate über die Liebe, von mehr oder weniger klugen, aber immer mitteilsamen Köpfen, klangen ohne Frage gut, meinte Violet, sie ließen sich prima in Diskussionen einbringen und verliehen jeder Valentinskarte Tiefe. »Was aber«, sagte sie, »wenn die signifikanteste Eigenschaft der Liebe ist, dass sie sich nicht definieren lässt?« Eine Definition, die Violet letztendlich so überflüssig fand wie jede andere.
    Was ihr Interesse an Albert, dem rothaarigen Jungen in der hintersten Reihe eines Linienbusses von Wolfratshausen nach Königsdorf, geweckt hatte: Violet war noch nie jemandem begegnet, der sich so viel Mühe gegeben hatte, nicht gesehen zu werden. Und was sie noch mehr erstaunt hatte: Als sie zugestiegen war, hatte er sie nicht angesehen, sondern aus dem Fenster geblickt. Vom Busfahrer hatte sie seinen Namen und sein Ziel erfahren. Nachdem sie vor ihm Platz genommen hatte und der Bus losgefahren war, hatte sie seinen Blick gespürt. Mit ihrem Handy hatte sie Fotos seiner Spiegelung im Fenster gemacht: Er hatte sie betrachtet wie ein Buch, das man querlas und dessen Genre man wenig schätzte   – und doch hatte man es noch nicht beiseitegelegt. Violet hatte es keine Überwindung gekostet, sich neben ihn zu setzen. Sein Gesichtsausdruck, als sie seinen Namen gesagt hatte, war unbezahlbar gewesen.
    »Und der Kuss?«, unterbrach Albert sie.
    Der war ihr unterlaufen, das hatte sie nicht vorgehabt, und im Nachhinein fand sie ihn, um ehrlich zu sein, weder zärtlich noch intensiv, eher schmallippig, schlecht gezielt, fast armselig, sie hatte sich dafür entschuldigen wollen, wäre erihr nicht mit seinem »Tut mir leid« zuvorgekommen. Als hätte er sie geküsst! Oder als wäre er so unwiderstehlich gewesen. Und das hatte ein Drängen in ihr ausgelöst, sie hatte das nicht auf sich sitzen lassen können und deswegen ihre Hand in seinen Nacken gelegt und ihn noch einmal geküsst, sie ihn, damit das klar war, und diesmal, ja, diesmal war da so etwas wie ein Gefühl gewesen, kein sonderlich intensives, hätte sie gestanden, ihre Beine wären nicht schwach geworden, aber   – und das reichte, wie sie betonte, auch schon, damit sie sich am Tag darauf wiedersahen   – es hatte ihr die Augen geschlossen und sie für einen Moment vergessen lassen, dass sie an einem bewölkten Nachmittag mit einem Bus der Linie 479 auf der Bundesstraße 11 fuhr.
     
    Was Violet und Albert bei ihrer ersten Begegnung an Distanz überwunden hatten, das bauten sie bei ihrer zweiten wieder auf. Sie saßen sich an einem mit toastbrotbraunen Gardinen geschmückten Fenster beim Gasthof
Hofherr
in Königsdorf gegenüber und sprachen nicht das aus, was sie am liebsten sagen wollten. Albert verschwieg sein Leben in Sankt Helena, dass er eine Zweidrittelwaise war, und Fred. Violet hielt dagegen. Fürs Lügen besaß sie nie sonderlich viel Talent, aber sie gab sich studentisch (dabei sollte sie, wie Albert, erst im kommenden Jahr ihr Abitur machen), hielt ein Plädoyer für WGs (obwohl sie noch bei ihren Eltern in einer 35 0-Quadratmeter -Villa am Starnberger See samt Steg und Segelboot wohnte) und verteufelte das deutsche, insbesondere das öffentlich-rechtliche Fernsehen (das   – indirekt   – ihr gesamtes Leben finanziert hatte sowie den Kaffee, den die beiden aus Nervosität so schnell tranken, dass sie sich die Zungen verbrannten).
    Es wäre vermutlich ihr letztes Treffen gewesen, wären sienicht, als sie die Gastwirtschaft verließen, auf Fred gestoßen, der auf dem Weg zur Bushaltestelle war.
    »Hallo Albert!«, zwitscherte Fred.
    »Hallo Fred«, sagte Albert und zupfte an seinem Ohrläppchen.
    Violet sah ihn an, aber er machte keine Anstalten, sie vorzustellen. Also ging sie auf Fred zu, hielt ihm ihre Hand hin, sagte: »Ich bin Violet.«
    Fred betrachtete ihre Hand. »Wer bist du?«
    Die Frage traf sie   – die Klassensprecherin, den Star der Familienvideos, die Chefredakteurin der Schülerzeitung, das Einzelkind   – unerwartet hart: Ihr zweites »Violet« klang wie eine Frage.
    Albert löste sich endlich aus seiner Starre: »Das ist Violet, Fred. Eine Freundin.«
    Fred musterte sie, als gliche er Alberts Information mit dem ab, was er sah. Sein plötzliches Grinsen war eindrucksvoll. »Freundinnen sind ambrosisch!« Er drückte Violet an sich und Albert wollte eingreifen, doch sie schüttelte den Kopf:
Ist schon okay
.
    »Ich bin Frederick Arkadiusz

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