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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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Tanne
erzählte er Wickenhäuser von diesem erfreulichen Wunder, worauf dieser grinsend den Kopf schüttelte. »So ein Filou!«
    »Wer?«, fragte der Pfarrer. »Gott?«
    »Ja«, sagte Wickenhäuser, »wer sonst?«
    Wickenhäuser erklärte mir so einiges über Frauen, das mir keine Frau hätte erklären wollen. Im Flüsterton bat ich die Witwen nach jeder Begräbniszeremonie unter einem geschäftlichen Vorwand, mir in mein Büro zu folgen. Nie weigerten sie sich; ihre Augen waren vom Weinen verquollen und ihr Denken funktionierte nicht so tadellos wie sonst. Im neu ausgestatteten Gästezimmer   – mein Büro   – bot ich ihnen einen Platz auf meinem Bett an. Keine von ihnen ahnte etwas. Geduldig fragte ich die Witwen, ob sie mit meinen Diensten zufrieden seien. Das bejahten sie immer. Langsam rückte ich mit meinem Stuhl näher und schlug ihnen einen unerheblichen Preisnachlass vor. Das begrüßten sie immer. Ich setzte mich neben sie aufs Bett und legte vorsichtig einen Arm um sie. Darauf schmiegten sie sich immer an mich. Schließlich gestand ich ihnen, welche überaus intensiven Gefühle ich
für sie hegte. (Es ist immer das wahr, an das zu glauben man sich entscheidet.) Die meisten verkrampften sich, sprangen auf und entschuldigten sich mit reservierter Höflichkeit, aber einige, nicht wenige, küssten mir dankbar das Gesicht. Sie rochen nach zu dick aufgetragener Schminke und süßlichem Schweiß. Im Bett waren sie leise, fast geräuschlos, als wollten sie ihre verstorbenen Ehemänner nicht wecken.
    Wickenhäuser versicherte mir, ich könne mit den Witwen meinen Spaß haben, sooft und soviel ich wolle, keine würde es jemals wagen, einen solchen Fehltritt zu beichten. Vor allem jedoch schärfte er mir ein, dass ich niemals, zu keiner Zeit, einer Frau in die Augen sehen durfte. Deswegen hatte er dafür gesorgt, dass mein erstes Mal irgendein Mal gewesen war. Wenn es nach Wickenhäuser ging, bedeutete »Liebe machen« nicht, mit jemandem zu schlafen, »Liebe machen« stand seiner Meinung nach dafür, dass man Liebe erschuf, man machte sich Liebe. »Es passiert schneller, als du glaubst«, betonte Wickenhäuser und fügte mit einem vielsagenden Lächeln hinzu: »Und dann willst du plötzlich nur noch mit einem Menschen sein.«
     
    An Wochenenden wurden keine Gäste mehr eingeladen. Stattdessen feierten wir zu zweit, und es wäre falsch zu behaupten, wir hätten bei unseren Reimspielen keinen Spaß gehabt. Rezitierte einer von uns schlecht, also reimlos, dann musste er einen kräftigen Schluck Weinbrand nehmen.
    Das kam durchaus vor.
     
    Spiele spiele ich zum Spielen gern,
    tanze wild und schreie laut,
    meine Backen färben sich wie ein roter Stern,
    ab und zu keif ich: Du hast’s versaut!
    So mancher geht mir auf den Leim,
    lüpft mein Röcklein im Mondschein.
    Frech, den Ausdruck find ich fein,
    noch mehr liebe ich es, die Liebe zu haben.
     
     
    Solche Abende mündeten häufiger als mir recht war in der Bitte des vom Alkohol ermutigten Bestatters, mit ihm das Bett zu teilen. Ein bisschen Liebe zu machen.
    Ich wies ihn zurück. Für mich war Wickenhäuser ein Lehrer und ein Geschäftspartner und sonst nichts. Verborgen in meiner Zuneigung für ihn spürte ich die Möglichkeit einer Liebe, die ich nicht zulassen wollte. Wieder jemanden so zu lieben, wie ich Else geliebt hatte, war mir zu viel Risiko. Auch Bestatter wachten eines Morgens nicht mehr auf.
    Aus purem Mitleid gab ich manchmal Wickenhäusers Betteln nach und schlief neben ihm. Mit separater Bettdecke; und selbst wenn er schluchzte und mir wehmütig den Moment beschrieb, als wir uns damals in der Holzhütte zum ersten und einzigen Mal umarmt hatten, nahm ich ihn nicht in die Arme und korrigierte, dass nur er mich damals umarmt hatte. Diese Traurigkeit, die sich tagsüber in das Funkeln von Wickenhäusers Augen zurückzog, brach vor allem nachts aus ihm hervor. Allein nach seinen Besuchen in Segendorf konnte Wickenhäuser sie für einige Tage und im besten Fall Wochen verdrängen, und ich fragte mich, was die Bäckermeisterin Reindl dem Bestatter wohl gab, das er bei einer solch reichen Auswahl an Frauen und Männern hier in Schweretsried nicht finden konnte.
    Für mich lag Segendorf in weiter Ferne, als hätte ich die ersten elf Jahre meines Lebens einen Traum geträumt, der nun mit jedem Tag verblasste. Anni half mir dabei. Meine Schwester
antwortete auf keinen der Briefe, die ich Wickenhäuser mitgab, nicht einmal Grüße ließ sie mir

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