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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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streckte er die Hände danach aus und seine Finger gruben sich in körnigen Sand und Schlick. Er hatte den Meeresgrund erreicht. Weiterhin sprudelte Luft aus ihm, wo auch immer die herkam. Das könnte noch eine ganze Weile dauern, dachte er, vielleicht ist das ein Zeichen? Vielleicht soll es nicht heute passieren?
    Arkadiusz wartete, um sicherzugehen, noch etwas länger, aber auch, nachdem er in Gedanken mehr als eine Minute abgezählt hatte, verspürte er nicht das Bedürfnis, Luft zu holen, und so stieß er sich ab und schwamm zurück an die Meeresoberfläche, in den Hafen.
     
    In der Nähe des Fischerdorfes hatte der Circus Rusch seine Zelte aufgeschlagen. Arkadiusz’ nasse Kleidung klebte noch an seinem Körper, als er schlotternd um ein Vorsprechen beim Zirkusdirektor bat. Ein Clown mit vogelbeerrotem Haar, nacktem Oberkörper, Pumphose und Piepsstimme brachte ihn, einen Flickflack nach dem anderen schlagend, zu einer Mini-Badewanne. Schaum lief über den Rand, das Wasser dampfte. Was hätte Arkadiusz darum gegeben, eintauchen zu dürfen! Als der Clown ihn allein ließ, sah er sich nach allen Seiten um und hielt eine Hand ins heiße Wasser.
    »Pfui!«, rief eine gequetschte Stimme, und Arkadiusz riss
seine Hand aus dem Wasser, als hätte er sich verbrannt. Hinter der Badewanne stand ein Zwerg, ein Handtuch um die Hüfte gewickelt, eine Badehaube auf dem Kopf.
    »Wer sind Sie?«, fragte Arkadiusz.
    »Wer bist du?«, fragte der Zwerg und verschränkte die Arme.
    »Mein Name ist Arkadiusz, ich möchte den Zirkusdirektor sprechen.«
    »Den Boss. Du stehst vor ihm.«
    »Sie machen sich über mich lustig.«
    »Ja, du hast recht«, sagte der Zwerg, »das ist nur so ein Zirkuswitz: Ich Dreikäsehoch der Boss. Haha.«
    »Darf ich ihn jetzt sehen?«
    »Ironie, Kleiner. Wo bist du aufgewachsen!«
    »In Polen. An der ostpreußischen Grenze.«
    »Kein Wunder.« Er rückte seine Badehaube zurecht. »Also, warum bist du hier?«
    »Ich möchte Ihrem Zirkus beitreten.«
    Die buschigen Augenbrauen des Direktors wanderten nach oben. »Und warum soll ausgerechnet dein Name auf einem Plakat stehen?«
    Arkadiusz lächelte; das hatte er sich gut überlegt. »Beim Angeln gehe ich nie ohne Fisch aus.«
    »Soso, bemerkenswert. Wir werden dir einen großen Wasserbottich bauen, dich auf ein Podest setzen und dem Publikum demonstrieren, wie du einen Hecht nach dem nächsten fängst.«
    »Wirklich? Sie nehmen mich?«
    »Sag, Kleiner, wie konntest du bisher überleben?« Der Zirkusdirektor machte eine ausholende Geste und hielt plötzlich eine Münze in seiner pummeligen Hand. »Hier, für dich. Und jetzt troll dich. Mein Bad wird kalt.«
    Arkadiusz unterdrückte den Reflex, nach der glänzenden Münze zu greifen. »Warten Sie! Das ist noch nicht alles!«
    Der Direktor legte sein Badetuch ab. Arkadiusz blickte zur Seite.
    »Ist nur mein drittes Bein.« Er lachte.
    Arkadiusz fixierte die Augen des Direktors. »Ich kann etwas, das haben Sie noch nie gesehen.«
    »Ich habe schon ALLES gesehen.«
    »Das nicht. Ich kann die Luft anhalten.«
    Sogar das von Natur aus zusammengekniffene Gesicht des Direktors wirkte noch zusammengekniffener. »Ich auch. Und jetzt gerade tu ich es viel zu lang.«
    »Ich kann die Luft sehr lange anhalten. Sehr, sehr lange!«
    »Wie lange?«
    »Das   … das weiß ich nicht.«
    »Du wärst also der unglaubliche Pole, der nicht weiß, wie lang er die Luft anhalten kann?«
    Arkadiusz holte tief Luft, beugte sich vor und steckte seinen Kopf in die Badewanne. Unter Wasser zählte er die Sekunden, Luftblasen hingen an seinem Gesicht, bitterer Seifengeschmack lag ihm auf der Zunge, seine Augen brannten, und jedes Mal, wenn er den Punkt erreichte, an dem er glaubte, auftauchen zu müssen, aufzugeben, spannte er sein Zwerchfell an und setzte noch mehr Luftvorräte frei.
    Der Direktor griff nicht ein. Mit offenstehendem Mund verfolgte er das Platzen von Luftblase nach Luftblase nach Luftblase.
     
    Vier Minuten und dreiundvierzig Sekunden später hieß Arkadiusz nicht mehr Arkadiusz Kamil Driajes, sondern ARKADIUSZ DER VIER-MINUTEN-DREIUNDVIERZIG-SE
KUNDEN-MANN.

Jahrelang durchreiste er mit dem Circus Rusch zuerst das Deutsche Kaiserreich und später die Weimarer Republik und hielt in einer speziell für ihn angefertigten, mit Wasser gefüllten Glasglocke die Luft an   – vor besorgten Erwachsenen und staunenden Kindern. Da alle Vorstellungen mittags und abends stattfanden, durfte er meist ausschlafen. Den Löwenanteil

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