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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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seines Lohnes legte er für seine Rückkehr in die Heimat zurück. In den Briefen an seine Mutter und die Geschwister   – die er, als Analphabet, dem Boss für ein Drittel seines Lohnes diktierte   – beschrieb er den Kölner Dom, das Leipziger Rathaus, die Münchner Frauenkirche; er gab urkomische und herzzerreißende Anekdoten aus durchzechten Nächten wieder, die jedoch fade und banal auf ihn wirkten, sobald sie auf einem Blatt Papier standen; er schwärmte von seiner leidenschaftlichen Liebesbeziehung mit der UNBESCHREIBLICH BIEGSAMEN YING, die auf zwei Fingern stehen konnte; er pries das bayerische Weißbier, klagte über die Trennung von der UNBESCHREIBLICH BIEGSAMEN YING und zitierte fluchend Parolen, mit denen die Zirkuswagen beschmiert waren: »Wer nicht zum deutschen Volk gehört, der bleibt nicht lange unversehrt«; er verschwieg, dass mit der Inflation die Menschen Millionen für einen Sack Kartoffeln, Eierbriketts, ein Paar vernünftiger Schuhe, Jacken oder Hosen ausgaben statt für ein Stündchen in einem zugigen Zelt aus bunten Flicken, das nach Sägespänen und Pferdeäpfeln roch, und behauptete, der Reichtum erlaube ihm, mit Zwanzigtausend-Mark-Scheinen, welche wie Konfetti durch seinen Zirkuswagen flatterten, den Kohleofen zu heizen; außerdem gab er damit an, wie perfekt er bereits die deutsche Sprache beherrschte (abgesehen von der zweiten Person Singular), und erzählte, auf welch anzügliche Weise manche seinen
Künstlernamen missdeuteten und wieso nach dem Versailler Vertrag kein Deutscher mehr erhobenen Hauptes die Straße entlangging.
    Einen Antwortbrief bekam er nie. »Zirkusleute«, beteuerte der Boss, nachdem er wieder einmal eine Flasche Johannisbeerschnaps allein geleert hatte, »besitzen keine Adresse. Sie ziehen von Ort zu Ort. Von Geldbeutel zu Geldbeutel.«
    Das fand ein Ende mit dem Börsenkrach 1929.   Von Westen kommend, schwappte der Black Thursday wie eine Welle über Europa und wandelte sich dort zum Schwarzen Freitag. Viele Vorstellungen wurden abgesagt. Der Zirkus schleppte sich noch ein paar Wochen durch die Provinz, die Besucherzahlen sanken, und letztendlich verordnete der Boss allen unbezahlten Urlaub. In dieser Zeit kampierten sie in Schweretsried. Seit ein paar Tagen plagten Arkadiusz Überlegungen, sein Glück allein zu versuchen. Er hatte endlich einen Brief von seiner Mutter erhalten; darin klagte sie, wie schlecht es der Familie seit einer missratenen Ernte ginge und dass sie fest mit seiner Unterstützung rechne. Bei einem Gespräch in der Gastwirtschaft
Zur eisernen Tanne
schnappte er ein Gerücht auf von einem Mönch und einer Goldader und einer tief im Moor verborgenen Siedlung. Man sagte ihm, die Menschen dort seien Fremden nicht eben freundlich gesinnt   – was ihn nicht weiter störte, er wollte ja keine Freundschaften schließen. In seinem Kopf hallte ein einziges Wort, laut wie eine Kirchenglocke: GOLD.   Und es dröhnte lauter mit jedem Tag ohne Lohn. Bis er, geplagt von dem Gedanken, dass seine Familie in der Ferne hungerte und er nichts dagegen unternahm, eine Entscheidung traf.
    Sich von der Zirkustruppe zu trennen fiel ihm schwer. Der Boss versprach ihm, er könne jederzeit zu ihnen zurückkehren,
die UNBESCHREIBLICH BIEGSAME YING gab ihm einen Zungenkuss, und der TÄTOWIERTE SCHLANGEN-HANS behauptete, er weine nicht, ihm sei nur etwas ins Auge geflogen.
     
    In den ersten Tagen seiner Wanderung gen Süden weinte Arkadiusz mehr, als dass er nicht weinte; er war wieder allein, nach seiner ersten hatte er nun auch seine zweite Familie hinter sich gelassen. Das Einzige, was ihm Mut machte, war die golden-goldene Goldader, sie trieb ihn an, tiefer in das Moor. Nachts am Lagerfeuer nagte er an einem mageren Barsch und träumte von seiner Rückkehr in die Heimat als Retter.
     
    Eine Kolonne aus Automobilen hält vor seinem Elternhaus, die Geschwister scharen sich um ihn, Begeisterungsrufe ausstoßend, während er seine überstolze Mutter von Tür zu Tür führt, ihr Schaumwein aus der Champagne präsentiert, Beluga-Kaviar vom Kaspischen Meer, Luchspelze aus den Pyrenäen und Goldbarren, die sein Siegel tragen: einen Angler.
     
    Nach zwei Wochen erreichte Arkadiusz Segendorf. Er hielt das für ein gutes Omen. Heiter betrat er die Wirtschaft und bestellte ein Weißbier und erzählte einer schielenden Bedienung von dem Gold. Ihr Mund klappte auf, sie klatschte in die Hände, rannte nach draußen. Sie kehrte zurück mit einem ebenso schielenden,

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