Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)
Tanz, die sich wie eine ungeschickte Ballerina auf der Stelle drehte und Arkadiusz’ Namen sang. Ihm fielen die schiefen Töne gar nicht auf, solange er ihren Fischmund betrachten, ihr Haar riechen, einen Schatten auf ihre weiße Haut werfen konnte, hörte sich nichts falsch an. Und es fühlte sich auch nicht falsch an, dass er seiner Familie noch immer nicht zu Hilfe geeilt war; in Segendorf zu bleiben, sagte er sich, bedeutete ja, er könne in der Umgebung weiter nach dem Gold suchen. Auch wenn der eigentliche Grund, wie er sehr wohl wusste, ein anderer war: Arkadiusz war glücklich mit seinem Leben wie nie zuvor, und indem er Anni heiratete, würde er diesen Zustand ausdehnen, ihren Tanz unendlich machen.
Nun stand sie vor ihm, so nah, dass ihr Atem sein Gesicht streifte. Splitternackt wuchs sie über ihn hinaus. Sie sah ihn an, sah ihn mit funkel-glitzer-leuchtenden Augen an, und als er die Hand nach ihr ausstreckte, klopfte es an der Tür, und Anni wich zurück. Sie runzelte die Stirn, wickelte sich in eine Strickdecke und zog die Tür auf. Arkadiusz konnte mich draußen im Dunkeln sicher nicht erkennen, aber er beobachtete etwas, das er seit Monaten nicht mehr gesehen hatte:
Anni schüttelte den Kopf.
TEIL VII
Die Welt schieben
Sankt Helena
Drei Tage lang wusste niemand, ob sich Freds Herz für oder gegen ein vorläufiges Ende entscheiden würde. Albert wachte an seinem Bett. Alfonsa hatte in der Krankenstation ein Stockbett aufstellen lassen, in dem Albert und Klondi schliefen; Albert natürlich unten. Wobei von Schlaf bei Albert kaum die Rede sein konnte; wenn ihn nicht gerade seine Sorgen wach hielten, dann Klondi mit einem leidenschaftlichen Schnarchkonzert. Gingen sie essen, fühlte es sich für Albert falsch an, im Speisesaal am Tisch der Schwestern Platz zu nehmen, aber Alfonsa, mit der er seit ihrer Unterhaltung kein Wort mehr gewechselt hatte, bestand darauf. Unter den Waisen wurden sie damit zu
dem
Gesprächsthema. Man hielt sie für eine Familie. Einige, die Albert kannten, glaubten sogar, er habe seine Mutter gefunden, und beneideten ihn darum.
Am Abend des zweiten Tages saß Albert an Freds Bett. Jemand hatte Fred das Haar zu einem Seitenscheitel gekämmt. Er schlief mit offenem Mund und wirkte trotz seines Gesundheitszustands noch immer deutlich jünger, als er war. Dabei hatte dieser Mann mindestens sechzig Jahre hinter sich, vermutlich sogar mehr; da keine Geburtsurkunde existierte,konnte das niemand so genau sagen. Vielleicht, dachte Albert, war Fred wirklich ein Held, einer mit Superkräften: Er alterte langsam, er war übernatürlich stark und vor allem ein unbeirrbarer Optimist.
Jemand berührte Alberts Schulter.
»Glaubst du an Gott?«, fragte Klondi.
Albert war nicht in der Stimmung, um Glaubensfragen zu erörtern. »Nein.«
»Ich auch nicht. Aber wäre es nicht viel einfacher?«
»Was denn?!«
»Das Leben. Wäre es nicht viel einfacher, wenn man sich darauf verlassen könnte, dass wenigstens einer einen Plan hat und der ganze Mist nicht umsonst ist?« Sie wartete gar nicht erst auf eine Antwort. »Ich habe gestern zum ersten Mal gebetet. Hat gut getan.«
»Schön für dich.«
»Schätzchen, jetzt mal halblang. Du bist nicht der Einzige, dem was an ihm liegt.« Sie wickelte Fred enger in seine Decke. »Also, kommst du?«
»Wohin?«
Sie nickte in Richtung Ausgang. »Na, beten.«
In der schmucklosen Kapelle eines Waisenhauses im bayerischen Oberland nahm Albert zu später Stunde neben Klondi in der vordersten Reihe Platz und faltete die Hände. Klondi dachte – da war er sich sicher – an ihre tote Tochter und an ihren toten Ehemann und an einen Freund, der nicht mehr lang zu leben hatte. Er selbst dachte an eine Frau, die seit neunzehn Jahren seine Mutter hätte sein sollen, und an einen Mann, der nie sein Vater gewesen war.
Und was Violet betraf: Nach der ersten Nacht stand der Beetle nicht mehr auf dem Parkplatz. Albert nahm an, sie sei gefahren, und bedauerte das; er hatte sich noch nicht einmal für ihre Hilfe bedanken können.
Am dritten Tag aber begegneten sie sich, als er in der Küche – unter Schwester Simones kritischen Blicken – Spiegeleier briet. Sein Angebot, gemeinsam zu frühstücken, lehnte Violet ab.
In derselben Nacht, als Klondi wieder einmal zu einem Schnarchsolo ansetzte, ging Albert nach draußen, um zu rauchen, und entdeckte den Beetle, mitten auf der Wiese geparkt, auf der die Waisenjungen im
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