Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)
loslegen, und dann müsste er wieder über Dinge nachdenken, die er ungern in seinen Kopf lassen wollte. Er kam ihnen zuvor mit: »Also gut. Fahren wir.«
Und somit verließen sie nach drei Tagen Sankt Helena, mit Alfonsa und neuem Ziel und ohne Klondi.
Liebesgeschichte
Diese Frau kratzt sich am ungewaschenen Hinterkopf, der eindeutig der Hinterkopf meiner Mutter sein muss, und fragt: Wer? Und ich wiederhole: Dein Sohn! Und sie wiederholt: Wer? Und ich frage: Hörst du schlecht? Und sie sagt: Sehr gut! Und ich fange von vorne an: Ich bin dein Sohn. Und sie sagt: Woher? Und ich sage: Das wollte ich dich fragen. Und sie sagt: Nicht heute. Und ich sage: Ich bin’s! Und sie sagt: Davon wüsst’ ich. Und ich sage: Kann ich reinkommen? Und sie sagt: Sorry.
Oder:
Diese Frau erklärt, dass diese Frau, die meine Mutter sein soll, ihre Schwester war, und dass ihre Schwester nicht mehr ist.
Oder:
Diese Frau packt ihre Schrotflinte, als ich mich vorstelle, und schießt mir in die Brust, und ich denke, was soll das denn, und da schießt sie mir in den Kopf.
Oder:
Diese Frau schimpft, das sei nun aber allerhöchste Zeit, wo hast du dich denn all die Jahre rumgetrieben, schreit sie, komm schleunigst rein und wasch dir die Hände und dann ab auf dein Zimmer, ohne Essen, Hausarrest!
Oder:
Diese Frau schlingt die Arme um mich und sagt, es tue ihr so leid, sie sagt, es sei alles ihre Schuld, aber sie war jung und jetzt ist sie älter, sie sagt, können wir nicht noch mal von vorne anfangen, und ich sage ihr, das tut mir jetzt leid, aber um von vorn anzufangen, bin ich schon zu alt.
Oder:
Dieser Frau läuft Sabber aus dem Mund. Sie grinst und findet die Tatsache, dass sie mich gemacht hat, wahnsinnig ambrosisch.
Albert saß auf dem Beifahrersitz und las in seinem Schachnotizheft. Violet steuerte mit der linken Hand. Kurve um Kurve. Ihre Rechte ruhte auf Alberts Oberschenkel. Es störte ihn nicht. Sie waren kurz vor dem Ziel, und was auch immer er von diesem Ziel zu erwarten hatte, es zu erreichen, einen Schlussstrich zu ziehen, war doch grundsätzlich etwas Gutes. Sagte er sich. Dasselbe galt für die Hand von einer Frau wie Violet auf seinem Oberschenkel: grundsätzlich gut.
Ihre Finger bewegten sich fast unmerklich. »Schön, mit dir zu sein«, sagte sie.
Albert warf einen Blick nach hinten. Alfonsa hatte die Augen geschlossen; er glaubte aber nicht, dass sie schlief. Seitdem sie losgefahren waren, verhielt sie sich auffallend zurückhaltend.
Fred dagegen sah aus dem Fenster, seine Augen bewegten sich von links nach rechts, immer wieder von links nach rechts, als würde er in einem der Lexika lesen.
Die Welt schieben
, so nannte er das. Etwas – einen Straßenpfosten, einen Baum, ein Verkehrsschild – fixieren, es fest im Blick halten und mit den Augen zur Seite schieben. Vielleicht hat er recht, dachte Albert, vielleicht glauben wir alle nur, dass wir uns fortbewegen, und dabei kommen wir überhaupt nicht von der Stelle. Wir schieben bloß das Leben an uns vorbei.
»Danke«, sagte Violet.
»Wofür?«
»Du hast mich da rausgeholt. Das Praktikum bei
K&P
war die Hölle.« Sie erzählte ihm von ihren Tagen bei der Produktionsfirma und bestätigte damit, was er am Segelflugplatz in ihren Augen gelesen hatte. »Ich weiß noch nicht, was ich jetzt machen will, aber jedenfalls geh ich da nicht mehr hin.«
»Vor ein paar Tagen hast du noch ganz anders geklungen.«
»Du auch.«
»Was meinst du?«
Nun kniff sie ihm in den Oberschenkel. »Du weißt genau, was ich meine.«
In ihrem Grinsen steckte für Alberts Geschmack zu viel Erwartung. Andererseits war doch auch ein Grinsen grundsätzlich gut. Wieso Fragen stellen und riskieren, die Stimmung zu trüben?
Denselben Gedanken hatte er dreieinhalb Stunden später, auf der durchgelegenen Matratze einer Pension, über deren Vordereingang sich die schwarzen Lettern
Gasthof
von dem blauen Hintergrund abhoben, als Violet nackt auf ihm saß und ihre Hüften kreisen ließ. Aber eine Frage konnte er dann doch nicht unterdrücken: die nach der hoffentlich nicht vergessenen Pille. Violet lächelte und beugte sich über ihn und leckte seine Oberlippe. Was ihn kaum beruhigte. Vergessene Pillen waren ein nicht ganz unwesentlicher Teil ihrer gemeinsamen Vergangenheit; ebenso wie Kreuz-und-quer-Fahrten durchs bayerische Oberland mitten in der Nacht auf der Suche nach der nächsten Apotheke, die Spätdienst hatte, sowie herablassende Kommentare besserwisserischer
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